Im Alter von 85 Jahren: Filmemacher Michael Verhoeven gestorben
EILMELDUNG
Im Alter von 85 Jahren: Filmemacher Michael Verhoeven gestorben

Remscheid Amadous zweites Leben

Remscheid · Der 17-jährige flüchtete vor dem Militär in Guinea. In Deutschland will er zeigen, was in ihm steckt und Kfz-Mechaniker werden.

Remscheid: Amadous zweites Leben
Foto: Sch�tz, Michael

An Hausnummer 54 erinnert sich Amadou noch sehr genau, denn hinter dieser Tür begann sein neues Leben. Unzählige Tage und vor allem Nächte hatte er zuvor auf der Ladefläche eines Transporters verbracht, nun war er auf seinem langen Weg weg von Verfolgung und Unterdrückung irgendwo in Wuppertal gelandet, erschöpft und vor allem eins: allein. Wenn Amadou heute an diesen Tag denkt, erinnert er sich an den Hunger und daran, wie ihm jemand den Weg zu einem Haus zeigte, wo ihm eine Frau etwas zu Essen und einen Schlafplatz anbot. Das war in dem Haus mit der Nummer 54.

Jener Tag ist nun fast genau zwölf Monate her. Vor Kurzem feierte Amadou seinen "Deutschland-Geburtstag", wie er ihn nennt - er meint damit den Anfang eines Lebensabschnitts in einem neuen Land. Nachdem der heute 17-Jährige zehn Tage in Wuppertal verbracht hatte, fand er mit Hilfe des Jugendamts und des Caritas-Verbands einen Wohnplatz im Aufnahme- und Clearingzentrum an der Waldhofstraße.

Dort kümmert sich die Evangelische Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL) um Kinder und Jugendliche, die etwa im eigenen Zuhause Probleme, oder - wie im Fall der unbegleiteten Flüchtlinge, die mittlerweile auch aufgenommen werden - kein eigenes Zuhause mehr haben. Sieben Plätze für junge Asylsuchende, die alleine nach Deutschland geflüchtet sind, hält die EJBL an der Waldhofstraße vor. Einen davon belegte Amadou für mehrere Monate.

Das Besondere an dem Haus: Die Jugendlichen werden nicht nur aufgenommen, ihnen wird auch eine neue Perspektive geschaffen, wie Heiner van Mil erklärt. "Wir schauen, wo ihre Schwächen und Stärken liegen und was wir tun können, um ihnen eine gesicherte Zukunft zu ermöglichen", sagt der Fachbereichs-Leiter für Aufnahme und Clearing, also die psychosoziale Diagnostik. Das Prozedere sei so ausgelegt, dass die Kinder im Normalfall nach ein paar Monaten wieder zu ihren Eltern zurückkehren können: "Das ist immer unser erstes Ziel." Leider aber kommt es auch vor, dass es eben keinen Weg zurück gibt - in diesem Fall tut die EJBL ihr Möglichstes, die Kinder und Jugendlichen zu unterstützen.

Ihn auf seine Zukunft vorzubereiten, war im Fall von Amadou kein Problem, erinnert sich Heiner van Mil. "Er kann viel und lernt schnell. Amadou hat uns immer wieder gesagt, dass er so schnell wie möglich eine Schule besuchen will." Das tut der 17-Jährige mittlerweile. Die internationale Klasse einer Remscheider Schule hat er bereits erfolgreich absolviert, jetzt will er seinen Hauptschulabschluss machen. Sein Deutsch, das er in der Schule und in einem Sprachkurs lernte, ist mittlerweile so gut, dass er sich flüssig unterhalten kann. Während der Sommerferien machte er ein Praktikum in einem Autohaus. Mit Erfolg, wie Heiner van Mil erzählt: "Er hat sehr gute Noten bekommen." Wenn er mit der Schule fertig ist, will Amadou Kfz-Mechaniker werden. "Ich arbeite gerne mit meinen Händen", sagt er.

Dass er lange Zeit keine Schule besucht hat, ist mitunter ein Grund, warum Amadou überhaupt nach Deutschland gekommen ist. Seine Heimat Guinea, wo er mit seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Schwester lebte, hat er verlassen, weil seine Familie dort vom Militär unterdrückt wurde. Seinem Vater warf man vor, er habe sich gegen die Regierung gestellt - er wurde festgenommen. Mit seinen Geschwistern machte sich Amadou vor Jahren auf den Weg weg von der Unterdrückung, aber auch weg von seinen Wurzeln. Über Kenia und Mali gelangte er nach Griechenland. Bevor er aber mit einem Boot nach Europa übersetzte, trennten sich die Wege der drei Geschwister. "Meine Schwester sagte, es sei besser, wenn wir nicht in einem gemeinsamen Boot fahren. Wenn eines der Boote untergeht, würden so im schlimmsten Fall nicht alle Geschwister sterben", erklärt Amadou. Er lebte drei Jahre lang in Griechenland. Bis heute hat er nichts mehr von seinen Geschwistern gehört.

Während der Zeit in Griechenland hielt er sich mit dem Verkauf von Uhren über Wasser. Für Amadou, einen neugierigen, intelligenten jungen Mann, war das aber keine Perspektive. Er wollte mehr, eine Schule besuchen, raus aus Griechenland, wo er immer Angst hatte, aus fadenscheinigen Gründen verhaftet zu werden. In Saloniki lernte er Michael kennen, einen Kraftfahrer. "Ich fragte ihn, ob er mich nicht woanders hin mitnehmen könnte", sagt Amadou. Tagelang hörte er nichts von Michael, dann, als er die Hoffnung fast aufgegeben hatte, sagte ihm der Kraftfahrer, er werde ihn an einen anderen Ort bringen. "Wir sind nur nachts gefahren, ich wusste nie so recht, wo wir sind." Nach Tagen dann hielt Michael in Essen. Dort setzte er Amadou ab, der erfuhr, dass es in Wuppertal eine große afrikanische Gemeinde gebe. Also machte er sich auf, allein, erschöpft, aber mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Das begann in Hausnummer 54.

(tsp)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort