Wassenberg Schicksale bekommen ein Gesicht

Wassenberg · Autor Johannes Bühler über seine Begegnungen mit Flüchtlingen in Marokko.

Angetrieben von der Sehnsucht nach einem besseren Leben. Vom Wunsch, wegzulaufen vor Krieg, familiären Konflikten und der eigenen Perspektivlosigkeit. Fünfzehn Flüchtlinge haben dem Schweizer Autor Johannes Bühler ihre Geschichte erzählt. Der 27-Jährige, der sich zurzeit auf großer Lesereise befindet und einer Einladung des Wassenberger Flüchtlingsnetzwerks ins Campanushaus folgte, hat mit Hilfe von Erzählprotokollen und "Interviews ohne Fragen", wie er seine spezielle Technik nennt, mehr über die Hintergründe der Menschen vom schwarzen Kontinent erfahren, die lebensgefährliche, waghalsige Touren auf überladenen Pick ups oder in Schlauchbooten auf sich nahmen.

"Am Fuße der Festung - Begegnungen vor Europas Grenzen" hat der junge Autor, der abwechselnd in der Schweiz und in Marokko lebt, sein Werk genannt. Bühler nahm seine Zuhörer mit auf eine Reise nach Marokko, schilderte, was Amadou von der Elfenbeinküste unterwegs erlebte: "Ich habe die Körper toter Menschen liegen gesehen. Aber ich lebe. Auch wenn es nicht leicht ist." Bühler lässt seinen Gesprächspartner davon berichten, wie er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Leben von der Hand in den Mund, von heute bis morgen.

2008 kam Johannes Bühler das erste Mal nach Marokko. Nach dem bestandenen Abitur mit der "Sehnsucht, die Welt zu entdecken", wie er selbst sagt. Er gewann das Vertrauen der Flüchtlinge, die in dem nordafrikanischen Land feststecken, nur 14 Kilometer Meeresenge vom europäischen Festland entfernt. Lediglich drei Hochsicherheitszäune trennen sie von den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla. Sie kommen nicht weiter nach Europa, aber auch der Weg zurück in die Heimat bleibt ihnen verwehrt. "Am Fuße der Festung" handelt von Angst, Sorgen, Verzweiflung und Gefahr, wirbt um Verständnis für die schwierige Situation der Flüchtenden, die abgeschoben und in der Wüste ausgesetzt werden oder im Gefängnis landen ohne Essen und wärmende Decken. Vom Durchqueren der Sahara auf gefährlichen Routen, oft ohne Schuhe, die den Afrikanern vorher weggenommen wurden und von brutaler Vergewaltigung unterwegs. Den Geschichten werde ein Gesicht gegeben, sagte die Pfarrerin Susanne Bronner bei der anschließenden Diskussion mit dem Autor. "Sehr berührend, sehr traurig, aber auch voller Hoffnung", fasste Jutta Schwinkendorf, die Sprecherin des Flüchtlingsnetzwerks Wassenberg, die ungewöhnlichen Erfahrungsberichte zusammen.

(RP)
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