Gütersloh/Berlin Armut macht dick und dumm

Gütersloh/Berlin · Kinder aus armen Elternhäusern hinken bereits früh hinterher. Die Kommunen müssen gegensteuern - so lautet das Ergebnis einer Studie.

Arme Kinder hinken einer Studie zufolge schon im Vorschulalter in der Entwicklung hinterher. Fünf- und Sechsjährige aus Hartz-IV-Familien weisen mehr als doppelt so viele Defizite etwa beim Sprechen auf wie Altersgenossen aus finanziell besseren Verhältnissen, wie eine gestern veröffentlichte Analyse von Schuleingangsuntersuchungen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ergab. Der Untersuchung zufolge sprechen Kinder aus sozial schwachen Milieus schlechter Deutsch, können schlechter zählen und leiden öfter unter Konzentrationsmängeln. Auch sind sie häufiger übergewichtig und verfügen über geringere Koordinationsfähigkeiten.

In Deutschland wachsen den Angaben zufolge mehr als 17 Prozent der unter Dreijährigen in Familien auf, die von staatlicher Grundsicherung leben. Für die Analyse werteten die Universität Bochum und die Stadt Mülheim an der Ruhr die Daten von knapp 5000 Schuleingangsuntersuchungen aus den Jahren 2010 bis 2013 aus. Während 43,2 Prozent der armutsgefährdeten Kinder den Angaben zufolge mangelhaft Deutsch sprechen, wurde dies nur 14,3 Prozent der anderen Kinder attestiert.

Diese Auffälligkeiten gehen einher mit einer geringeren Teilhabe der armutsgefährdeten Kinder an sozialen und kulturellen Angeboten. So erlernen lediglich zwölf Prozent der Kinder ein Instrument. Bei Mädchen und Jungen aus besseren Verhältnissen sind es 29 Prozent. Immerhin 46 Prozent der Kinder aus armen Familien sind vor dem Schuleintritt Mitglied in einem Sportverein, bei der anderen Gruppe sind es 77 Prozent. Vor Vollendung des dritten Lebensjahres gehen 31 Prozent der armutsgefährdeten Kinder in eine Kita, bei der anderen Gruppe ist es fast die Hälfte.

Ein früherer Kita-Besuch sei aber kein Garant, um die negativen Folgen von Kinderarmut zu verringern, so die Autoren der Studie. Vor allem müssten die Gruppen in den Einrichtungen sozial gemischt sein. Denn eine hohe Armutskonzentration, vor allem in der Kita, wirke "benachteiligend auf die Entwicklung von Kindern". Gerade Kitas in sozialen Brennpunkten benötigten daher mehr Geld, mehr Personal und andere Förderangebote, sagte Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

"Kinderarmut ist in Deutschland ein echtes Massenphänomen", sagte Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Zugleich übte er Kritik am Koalitionsvertrag der Regierung, in dem der Begriff der Kinderarmut nicht auftauche. "Es lassen sich bisher keine wirklichen Anstrengungen der Bundesregierung erkennen, Kinderarmut in Deutschland entschieden zu bekämpfen", klagte Schneider. Er plädierte für den Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung, deutliche Verbesserungen des Kinderzuschlags und eine Reform des Bildungs- und Teilhabepaketes.

Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) forderte ein Gesetz, das eine qualitativ gute und kostenfreie Kinderbetreuung sicherstellt. Awo-Chef Wolfgang Stadler betonte, die Studie zeige, wie wichtig es ist, arme Familien auch finanziell besser zu unterstützen. Dazu gehörten vor allem Tageseinrichtungen, die personell und räumlich entsprechend ausgestattet seien.

(epd)
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