Mehr als 100 Tote an einem Tag Machtlose UN-Mission in Syrien

Damaskus · Zwei Wochen nach ihrem offiziellen Beginn ist von der Waffenruhe in Syrien nichts mehr zu spüren. Regimegegner berichteten am Donnerstag von Raketenangriffen und Dutzenden von Toten. Der Einsatz unbewaffneter UN-Militärbeobachter, die zur Überprüfung der Waffenruhe nach Syrien geschickt worden sind, entwickelt sich immer mehr zu einer "Mission Impossible".

Die Entsendung der UN-Beobachter geht nur schleppend voran. Bislang ist ein aus 15 Mann bestehendes Vorauskommando im Land. Diplomaten am UN-Sitz in New York erklärten am Donnerstag , die ersten 100 Experten der vom Sicherheitsrat beschlossenen 300-Mann-Beobachtermission würden erst in einem Monat in Syrien eintreffen. Dies liegt an bürokratischen Hürden, logistischen Problemen und politischen Schwierigkeiten in der Abstimmung mit dem Regime von Präsident Baschar al-Assad.

Hama unter schwerem Beschuss

Aktivisten berichteten am Donnerstag, am Vortag seien landesweit 102 Menschen getötet worden. Allein in der Stadt Hama, wo nach Einbruch der Dunkelheit Raketen eingeschlagen seien, wurden demnach 71 Tote gezählt. Am Donnerstag soll es 12 Todesopfer in den Provinzen Deir as-Saur, Aleppo und Homs gegeben haben.

Die staatliche Nachrichtenagentur Sana veröffentlichte indes Fotos von getöteten und schwer verletzten Kindern, die Opfer einer "terroristischen Bande" geworden sein sollen. Laut Sana explodierte in einem Haus in einer Bombenwerkstatt der "Terroristen" in Hama versehentlich ein Sprengsatz, wobei 16 Menschen ums Leben gekommen seien.

Der oppositionelle Syrische Nationalrat forderte den UN-Sicherheitsrat auf, Konsequenzen aus den jüngsten "Massakern" zu ziehen und eine Resolution zum Schutz der Zivilisten in Syrien zu verabschieden. Die Arabische Liga berief für Donnerstagabend ein Außenministertreffen zu Syrien in Kairo ein.

Nach den Berichten über das neue Blutbad in Hama wurden zwei UN-Beobachter dauerhaft in die Stadt entsandt, so wie es vorher schon in Homs geschehen war. Nach Angaben eines UN-Sprechers sollen auch in den Provinzen Daraa und Idlib UN-Beobachter permanent stationiert werden, sobald es die Zahl der Beobachter zulässt.

Annan: Waffenruhe hält nur dort, wo Beobachter sind

Sondervermittler Kofi Annan hatte im UN-Sicherheitsrat berichtet, dass die Waffenruhe nur dort halte, wo die wenigen Beobachter präsent seien. Kaum seien sie zur nächsten Station unterwegs, greife das Regime wieder an. Der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig hatte deshalb davor gewarnt, dass die "UN sich zum Spielball des syrischen Regimes machen könnten".

Der Einsatz der unbewaffneten Beobachter gilt als riskant, da in dem Konflikt auch schwere Waffen eingesetzt werden. Beobachter mit entsprechender Qualifikation müssen zunächst von den entsendenden Ländern ausgesucht und den Vereinten Nationen benannt werden, hieß es in New York. Anschließend müsse das Personal auf den Einsatz vorbereitet werden. Die UN-Beobachter benutzen gepanzerte Fahrzeuge, deren Transport nach Syrien mit großem Aufwand verbunden ist.

Sorgen bereitet auch die Ausstellung der erforderlichen Visa durch die syrische Regierung. Sie behält sich vor, Beobachter aus Nationen abzulehnen, die dem Regime in Damaskus angeblich feindlich gesinnt sind. Die Verweigerung eines Visums für einen schwedischen Beobachter war in einer geschlossenen Sitzung des UN-Sicherheitsrates heftig kritisiert worden.

Damaskus: Rebellen haben 1300 Mal Waffenruhe verletzt

Die syrische Regierung hat der bewaffneten Opposition vorgeworfen, die seit Mitte April geltende Waffenruhe mehr als 1300 Mal verletzt zu haben. Informationsminister Adnan Mahmud sagte der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag, in den vergangenen zwei Wochen hätten die "bewaffneten terroristischen Gruppen Massaker, Explosionen und Angriffe intensiviert".

Die syrischen Behörden hätten den internationalen Syrien-Beauftragten Kofi Annan darüber unterrichtet und erwarteten nun, dass er "wirkliche Anstrengungen" in Bezug auf die "terroristischen Gruppen und die sie unterstützenden Länder und Parteien" unternehme, fügte Mahmud hinzu. Er nannte in diesem Zusammenhang die Türkei, Katar und Saudi-Arabien.

Die syrische Regierung habe alle Bestimmungen von Annans Sechs-Punkte-Plan erfüllt, sagte der Informationsminister und widersprach damit Angaben der Opposition. Zum Annan-Plan gehören unter anderem der Rückzug der Soldaten aus den Städten, die Genehmigung friedlicher Demonstrationen und die Freilassung politischer Gefangener.

Zur Überwachung der von den "bewaffneten terroristischen Gruppen" ausgehenden Gewalt und zur Beendigung der von ihnen verübten "Angriffe gegen Bürger und Sicherheitskräfte" bedarf es Mahmud zufolge einer "neutralen und transparenten Beobachtung". Erst am Donnerstag hätten Terroristen in der Provinz Damaskus vier Mitglieder derselben Familie getötet. Am Mittwoch hätten Bewaffnete in Hama "ganze Familien ausgelöscht".

Oppositionelle Übergangsregierung in Paris gegründet

Ein syrischer Geschäftsmann hat die Bildung einer Übergangsregierung der Opposition bekannt gegeben. "Wir haben beschlossen, die bestehenden Strukturen durch ein rein exekutives Organ zu ersetzen", sagte Nofal Dawalibi, der Sohn des früheren syrischen Regierungschefs Maaruf Dawalibi ist, am Donnerstag in Paris. Die neue Übergangsregierung solle die Einsätze der Kämpfer koordinieren und den Willen des "souveränen Volkes" umsetzen.

Der in Saudi-Arabien lebende Dawalibi ging nicht darauf ein, wie die neue Übergangsregierung mit dem syrischen Nationalrat zusammenarbeiten soll, der im Ausland als Vertretung der in zahlreiche Gruppen gespaltenen Opposition angesehen wird. Auf militärischer Ebene kämpft die Freie Syrische Armee (FSA) gegen die Truppen von Präsident Baschar al-Assad. Einige Mitglieder beider Organisationen unterstützten die Übergangsregierung, versicherte Dawalibi. Die 35 Mitglieder seines Kabinetts will er aus Sicherheitsgründen erst in einigen Tagen bekanntgeben.

(dpa/AFP)
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