Angst vor Cyber-Angriffen auf Bundestagswahl Bitte alle schön ruhig bleiben!

Meinung | Berlin · Hat Russland so massiv in den US-Wahlkampf eingegriffen, dass der Moskau angenehmere Donald Trump gewinnen konnte? Droht den Deutschen im Bundestagswahljahr ein ähnlicher Effekt? Diese Fragen sind Anlass zur Wachsamkeit. Für Panik besteht jedoch kein Anlass.

 Nehmen Hacker aus Russland die 2017 anstehende Bundestagswahl ins Visier?

Nehmen Hacker aus Russland die 2017 anstehende Bundestagswahl ins Visier?

Foto: dpa

Früher war auch das Wetter besser. Wir sollten aufpassen, dass uns diese Neigung zur Vergangenheitsverklärung nicht auch noch beim Blick auf das veränderte Meinungsklima im Vorfeld der Bundestagswahl erwischt. Ja, es ist im höchsten Maße bedenklich, wenn Russland nach Überzeugung der US-Geheimdienste in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf eingegriffen und somit Donald Trump zum Sieg verholfen hat. Ja, es ist nicht in Ordnung, in die Rechner der einen Seite einzudringen und das erbeutete Material zugunsten der anderen Seite einzusetzen. Und ja, die deutschen Sicherheitsbehörden tun gut daran, rechtzeitig Hinweise weiterzugeben, wonach Russland offenbar versuchen wird, mit einem "Informationskrieg" im nächsten Jahr auch das Ergebnis der Bundestagswahl in seinem Sinne zu beeinflussen.

Manipulation oder nur Strategie?

Doch so lange weder russische Hacker die Rechner des Bundeswahlleiters mit falschen Daten füttern noch russische Agenten in den Wahllokalen das Abstimmungsergebnis fälschen, so lange drückt die Stimmenauszählung exakt den aktuellen politischen Willen der Wähler aus. Wenn Angela Merkel in der Vergangenheit einen Wahlkampf der "asymmetrischen Demobilisierung" machte, um wiedergewählt zu werden, dann hat sie es eben durch geschicktes Vorgehen bei Themen, Ankündigungen und Tonlage geschafft, dass mehr Anhänger der anderen die Lust aufs Wählen verloren als eigene Sympathisanten. Ist das schon Manipulation oder nur Strategie?

Entscheidend ist in jeder Demokratie die Waffen- und Chancengleichheit. Wo die Staatspartei die Medien lenkt und andere Meinungen unterdrückt, kann auch die Wahlentscheidung nicht frei genannt werden. So lange alle Bewerber freien Zugang haben, ist es Sache der Wahlkämpfer, mit den aufgeworfenen Themen, Behauptungen und Unterstellungen umzugehen. Natürlich wird es problematisch, wenn immer mehr Wähler in eine selbst geschaffene Meinungsblase abtauchen und nur noch die in ihrem Netzwerk verbreiteten Bewertungen wahrnehmen. Die Wirkung ist dann um so verheerender, je mehr vorsätzlich gefälschte Nachrichten in diesen Blasen in Umlauf gebracht werden, je mehr vermeintliche Absender darin eine bestimmte Politik unterstützen, obwohl es sich um computergenerierte Maschinen-Meinungen handelt.

Asoziale Medien

Das Auseinanderfallen der gesellschaftlichen Kommunikation durch jene Netzwerke, die sozial heißen und zu oft asozial wirken, ist keine Erfindung Russlands. Aber Moskau nutzt die neuen Möglichkeiten intensiver als dem guten diplomatischen Ton entspräche. Vom Grundsatz her erlebt die heutige Generation das, was die vorherige im Kalten Krieg mitmachte. Auch der war eine Auseinandersetzung sowohl um den Einfluss auf Staaten als auch um den Einfluss auf das Denken der Menschen und ihr Gefühl, ob das westliche oder das östliche Modell dem anderen überlegen sei. Auch damals gehörten gefälschte Nachrichten zum Arsenal der Informationskriegsführung. Die Möglichkeiten, damit die Netzwerke zu durchdringen und jeden einzelnen gemäß seinen Informationsgewohnheiten zu erreichen, sind nur deutlich größer geworden.

Die Parteien müssen sich darauf einstellen. Sie brauchen neue und bessere Strategien, um die Wähler zu erreichen. Der Rechtsstaat bietet genügend Möglichkeiten, gegen Verleumdungen und tatsachenwidrige Darstellungen vorzugehen. Und dass vor Wahlen jeder Bürger aufgerufen ist, die Aussagen der Kandidaten ganz genau zu gewichten, ist keine besonders originelle Erkenntnis. Und es ist auch keinesfalls neu, dass "nie mehr so viel gelogen wird, wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd". Das Bonmot entstand im 19. Jahrhundert, als es Kanzler Otto von Bismarck auch schon mit Russland zu tun hatte und selbst auch ganz fleißig Meinungen und Einstellungen zu manipulieren versuchte. Ganz ohne Internet.

(may)
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