Netzsperren, Datenspeicherung, Street View Die Politik blamiert sich mit dem Internet

Düsseldorf (RPO). Was für eine Blamage: Bundespräsident Horst Köhler hat das umstrittene Internet-Sperrgesetz nun doch unterschrieben. Die Politik hat ein Gesetz, das (mittlerweile) niemand mehr will. Das Gesetz, das für eine gute Sache, der Bekämpfung von Kinderpornografie im Netz, gewesen ist, endet als Bürokratiemonster. Es ist ein Beleg für den unbeholfenen Umgang der Bundesregierungen mit dem Internet.

Internet: In diesen Ländern wird zensiert
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Foto: Screenshot

Eigentlich sollte es der große Coup im Kampf gegen Kinderpornografie im Internet werden. Als Kämpferin stellte sich die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im Mai vergangenen Jahres dar. Hartnäckig, entschieden im Kampf für die Kinder. Doch erst verweigerte Bundespräsident Horst Köhler die Unterschrift unter das umstrittene "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen" und dann verschoben sich die Machtverhältnisse in der Bundesregierung. Schwarz-Gelb vereinbarte im Koalitionsvertrag, das Gesetz erst einmal auszusetzen.

Noch am Vormittag des politischen Aschermittwochs polterte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Straubing, dass es dieses Gesetz mit der FDP nicht geben werde. Nur wenige Stunden später ließ der Bundespräsident mitteilen, das Gesetz unterzeichnet zu haben.

Dass die Regierung sich von dem Gesetz ihrer Vorgänger distanziert hat, obwohl gerade die CDU, angeführt durch Ursula von der Leyen, im Wahlkampf groß Stimmung gemacht hat, könnte man sicherlich als Triumph für die Netzgemeinde feiern. Diese hatte, nachdem von der Leyen ihre Pläne bekannt gegeben hatte, ihre Stimme erhoben und protestiert, weil sie das Gesetz als wirkungslos ansah und vor allem den Versuch vermutete, flächendeckend eine Infrastruktur für eine Online-Zensur einzurichten. Statt Stoppschilder aufzustellen, sollte die Regierung sich lieber um die Löschung der kinderpornografischen Internetseiten kümmern.

Die Netzgemeinde reichte beim Deutschen Bundestag eine Online-Petition gegen das Sperrgesetz ein. Mehr als 134.000 Menschen unterzeichneten — öffentlich und mit vollem Namen. Es war die erfolgreichste Petition in der Geschichte der Bundesrepublik.

Triumph ja — das Vorgehen in Sachen Sperrgesetz ist vor allem aber ein gutes Beispiel für das hilflose, unwissende und blamable Vorgehen der Politik im Umgang mit dem Internet. Dank der Stimmungsmache im Wahlkampf wird in Kürze nun ein Gesetz in Kraft treten, hinter dem (inzwischen) keine der Parteien im Bundestag steht.

Wie die Koalition damit nun umgeht, ist unklar. Der Grünen-Internetexperte Konstantin von Notz sagte, dass nun der Weg frei sei, das Gesetz schnell zu beerdigen. Dies müsse die Koalition nun meistern, da sonst Provider zur Sperrung von Seiten verpflichtet wären.

Am 22. Februar soll nun die Anhörung vor dem Petitionsausschuss stattfinden. Und am 25. Februar werden im Bundestag die verschiedenen Aufhebungsgesetz-Vorschläge diskutiert - darunter auch das Sperrgesetz von der ehemaligen Familienministerin.

Auch beim Thema "Vorratsdatenspeicherung" hat sich die Bundesregierung nicht mit Ruhm bekleckert. Das Gesetz, das noch aus den Zeiten der Großen Koalition besteht, sorgte ebenfalls bei Bürgerrechtlern und Internetexperten für erhebliche Kritik. Das Gesetz verpflichtet Telekommunikationsunternehmen, alle Verbindungsdaten sechs Monate lang zu speichern. So sollen organisierte Kriminelle und Terroristen besser verfolgt werden können - und potenzielle Verfolger, die darauf zugreifen dürfen, gibt es viele: Polizei, Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz und der BND. 35.000 Klagen gab bzw. gibt es gegen diese Regelung, weil diese quasi einen "teil-gläsernen Bürger" schaffe. Die Piratenpartei profitierte von dem Umgang mit Internetthemen und schnitt bei den vergangenen Wahlen überraschend gut ab. Am 2. März wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, wie rechtmäßig die Regelung ist.

Doch es gibt noch Thema, bei dem sich die Politik in Berlin gerade etwas unbeholfen mit dem Thema Internet anstellt: bei der Diskussion um Googles Dienst Street View. Wer über den Kartendienst von Google (Google Maps) beispielsweise seine Hoteladresse in New York oder London aufruft, kann mit Hilfe von Street View herausfinden, wie das Hotel in Wirklichkeit aussieht, welche Shops es in der Nähe gibt und wie man von dort am besten zur nächsten U-Bahnhaltestelle kommt. Nicht als Video oder etwa live, sondern als Rundumfoto, das man verschieben oder vergrößern kann. Seit einigen Monaten sind die Google-Autos auch in Deutschland unterwegs. Sie fotografieren die Straßen und die Techniker bauen diese Milliarden Fotos dann zu einem großen Gesamtfoto zusammen.

Eigentlich also eine gute Sache, insbesondere in Sachen Verbraucherschutz. Nie wieder darüber ärgern, dass die Reiseprospekte gelogen haben, nie wieder Wohnungssuche, ohne schon vorab einen ersten Eindruck von der Umgebung zu haben. Jeder kann informierter Entscheidungen treffen. Der Deutschland-Start von Googles Street View ist im Frühjahr geplant, wenn die Politik dies nicht verhindert.

Denn hierzulande wollen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, Kommunen und Datenschützer den Start des Projekts am liebsten stoppen. Das Argument: Google Street View ist ein grober Eingriff in die Privatsphäre. Nun ist es nicht so, dass Google in Sachen Daten- und Persönlichkeitsschutz nichts unternimmt. Kennzeichen und Gesichter von zufällig auftauchenden Passanten werden automatisch unkenntlich gemacht, und falls Gesichter oder andere personenbezogenen Informationen bei dieser Automatik durchrutschen, kann Jeder Widerspruch bei Google einlegen und so die Löschung erreichen.

Sicherlich lässt sich auch darüber streiten, inwiefern die Eingangstür zum eigenen Haus oder Momentaufnahmen, die in der Regel Monate, wenn nicht Jahre alt sind, zur Privatsphäre gehören. Doch anstatt den Umgang mit der neuen Technologie zu debattieren, oder grobe Regeln aufzustellen, schreit die Politik nach einem Verbot, ohne zu durchdenken, dass ein grundsätzliches Digitalisierungsverbot nicht nur Google, sondern auch Privatpersonen treffen würde. Bereits jetzt gibt es Millionen privater Fotos im Internet, die deutsche Städte zeigen, sortiert nach Stadtteilen und Straßen. Selbst Fotos, aus touristischen Gründen geknipst und ins Netz gestellt, wären dann verboten.

In ihrem Koalitionsvertrag schreibt Schwarz-Gelb: "Das Internet ist das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum", und dass man Medienkompetenz bei Kindern, Jugendlichen, aber auch der älteren Generation fördern wolle. Bevor die Bundesregierung dafür millionenschwere Programme auflegt, sollte sie mit leuchtendem Beispiel voran gehen und sich erst einmal selbst das Internet erklären lassen.

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