SPD-Parteichef im Interview Gabriel fordert Lohnzuschlag für Leiharbeit

(RP). Der neue SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel fordert einen zehnprozentigen "Flexibilitätszuschlag" für Leiharbeiter. "Ich halte einen Flexibilitätszuschlag, wie es ihn in Frankreich gibt, für denkbar", sagte Gabriel unserer Redaktion. "Dort erhalten Leiharbeiter einen Lohnzuschlag von zehn Prozent als Ausgleich für die unsichere Beschäftigung."

Sigmar Gabriels langer Weg an die Spitze
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Die bestehenden Regeln in der Leiharbeit hätten zu "Scheingewerkschaften" und "Hungerlöhnen" geführt, kritisierte Gabriel weiter. Im Interview sprach er mit unserer Redaktion ebenfalls über den Afghanistan-Einsatz und die Chancen der NRW-SPD gegen den "Arbeiterführer" Jürgen Rüttgers.

Wird die SPD dem neuen Afghanistan-Mandat zustimmen?

Gabriel Die Bundeskanzlerin ist in ihrer Regierungserklärung auf viele unserer Forderungen eingegangen, etwa was das Gesamtkonzept für den zivilen Aufbau und Abzugsperspektiven für die Bundeswehr betrifft. Damit hat sie sich auch von ihrem Verteidigungsminister zu Guttenberg distanziert, der bisher eher eine Verschärfung der militärischen Auseinandersetzung wollte.

Dann können Sie also zustimmen?

Gabriel Zunächst muss die Bundesregierung ihre Ankündigungen konkreter fassen. Unsere Bedingungen sind klar: Wir brauchen eine klare Abzugsperspektive. 2011 muss gemeinsam mit den USA der schrittweise Abzug beginnen, spätestens 2015 sollen deutsche Soldaten nicht mehr an bewaffneten Kämpfen beteiligt sein. Außerdem müssen wir mehr bei der polizeilichen Ausbildung tun und mit allen Kräften in Afghanistan einen Versöhnungsprozess vorantreiben.

Wie ein Veto gegen eine Erhöhung des Truppenkontingents klingt das nicht.

Gabriel Ich sehe bisher keine Notwendigkeit für 850 zusätzliche deutsche Soldaten. Die Bundesregierung muss nachweisen, dass es zwingend ist, dass Deutschland für eine begrenzte Zeit mehr Soldaten für die Ausbildung bereitstellt. Die Befristung des Einsatzes und eine klare Abzugsperspektive bis 2015 muss auf jeden Fall bleiben.

Gibt es schon einen Gesprächstermin mit Kanzlerin Merkel?

Gabriel Nein, aber ich gehe davon aus, dass sie nach der Afghanistan-Konferenz auf uns zukommen wird.

Die Politik wetteifert um eine neue Hartz-IV-Reform. Wann kommt das Konzept der SPD?

Gabriel Wir werden im Vorfeld der Betriebsrätekonferenz in NRW klarmachen, wie unsere Vorstellungen für eine Weiterentwicklung der Reformen aussehen. Anfang März sollen die Grundzüge stehen.

Und in welche Richtung geht es?

Gabriel Jedenfalls nicht in die von Herrn Rüttgers. Wir wollen nicht immer mehr Menschen in Abhängigkeit von Armutslöhnen plus Hartz IV bringen, wie es Herr Rüttgers mit der Ausweitung der Hinzuverdienstregeln vorhat. Denn Mindestlöhne verweigert er ja.

Was ist falsch daran, wenn sich Arbeiten für Hartz-IV-Empfänger lohnt?

Gabriel Arbeit für Hartz-IV-Empfänger würde sich lohnen, wenn Rüttgers gleichzeitig für einen Mindestlohn eintreten würde. Die Ausweitung der Hinzuverdienstgrenzen ohne Mindestlöhne führt aber dazu, dass Arbeitgeber, die anständige Löhne zahlen, die Dummen sind. Denn die Konkurrenz schickt ihre Mitarbeiter im Zweifelsfall mit Armutslöhnen nach Hause, das subventioniert der Staat über Hartz IV. Das ist doch pervers. Rüttgers startet in die Transfergesellschaft. Wir wollen die Orientierung an der Arbeitsgesellschaft.

Was wollen Sie ändern?

Gabriel Es ist nicht gerecht, dass jemand, der 30 Jahre gearbeitet hat und unverschuldet arbeitslos wird, nach einem Jahr so viel vom Staat bekommt wie einer, der nie in die Arbeitsversicherung einbezahlt hat. Zweitens müssen wir wieder stärker fördern, also die Arbeitsverwaltung reformieren. Und wir müssen die Deregulierung bei der Leih- und Zeitarbeit zurücknehmen.

Die Arbeitsagenturen können heute schon Zeitarbeitsfirmen prüfen.

Gabriel Der Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" gilt nach geltendem Recht dann nicht, wenn es einen Tarifvertrag bei der Entleihfirma gibt. Das war gut gemeint, um in der Leiharbeitsbranche zu Tarifverträgen zu kommen. In Wahrheit haben aber Scheingewerkschaften, die sich auch noch christlich nennen und der CDU nahestehen, Scheintarife zu Hungerlöhnen abgeschlossen. Mit Unterstützung von Rüttgers.

"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" soll generell gelten?

Gabriel So ist es. Spätestens wenn ein Leiharbeiter eingearbeitet ist, hat er das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Ich halte aber auch einen Flexibilitäts-Zuschlag, wie es ihn in Frankreich gibt, für denkbar. Dort erhalten Leiharbeiter einen Lohnzuschlag von zehn Prozent als Ausgleich für die unsichere Beschäftigung. Das sollte auch in Deutschland diskutiert werden.

NRW war stets die Herzkammer der SPD. Nun setzt Jürgen Rüttgers auf die Themen Arbeit und Soziales. Droht den Genossen der Infarkt?

Gabriel Rüttgers ist doch ein Ankündigungspolitiker. Wo bleiben seine Bundesratsinitiativen zu Hartz IV? Was ist aus seinem Bildungsversprechen geworden? Rüttgers spielt "Dr. Jekyll and Mr. Hyde": In Düsseldorf spielt er den Arbeiterführer, und als Stellvertreter von Frau Merkel beschließt er den Steuer- und Sozialkahlschlag, der NRW ruiniert.

In Umfragen liegt Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen vorn.

Gabriel Rot-Grün liegt nur einen Prozentpunkt von Schwarz-Gelb entfernt. Es gibt eine sehr reale Chance für Rot-Grün. Wir wollen, dass NRW wieder das wird, was es unter Johannes Rau war: das soziale Gewissen Deutschlands. Das geschah bei Rau in Taten und nicht nur mit Worten wie bei Herrn Rüttgers.

Michael Bröcker führte das Gespräch.

(RP)
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