Analyse Kommunion trotz Scheidung möglich

Rom · Papst Franziskus deutet in seinem neuen apostolischen Schreiben an, dass in Einzelfällen wiederverheiratete Geschiedene zum Abendmahl zugelassen werden. Das könnte eine pastorale Wende der katholischen Kirche bedeuten.

Franziskus: Kommunion trotz Scheidung möglich - was das bedeutet
Foto: afp, mlm

Der Papst hat geschrieben. Nur entschieden hat er nicht. Nach einer Umfrage unter den Katholiken in aller Welt sowie zwei großen Bischofssynoden gab Papst Franziskus jetzt Fragen zu Ehe, Familie und Sexualmoral zurück an die Kirche und stellte sie in die Mitverantwortung der Gläubigen und Seelsorger. Das ist die spannende Botschaft des gestern veröffentlichten Papst-Schreibens "Amoris Laetitia - über die Liebe in der Familie", an der die katholische Kirche weiter arbeiten muss und vielleicht wachsen wird.

Denn so viel auf den über 300 Seiten von der christlichen Ehe als "ein Abglanz der Vereinigung Christi und seiner Kirche" die Rede ist, so umfänglich erzählt der Pontifex vom Scheitern des Lebensbundes. Schwächen und Unvollkommenheiten der Menschen sind also zahlreich und führten zu "irregulären Situationen", wie es Franziskus nennt. Trotzdem: "Der Weg der Kirche ist der, niemanden auf ewig zu verurteilen", denn das sei "nicht die Logik des Evangeliums". Vielmehr gehe es darum, alle einzugliedern und jedem Einzelnen zu helfen, seinen eigenen Weg zu finden, an der kirchlichen Gesellschaft teilzuhaben - "damit er sich als Empfänger einer unverdienten, bedingungslosen und gegenleistungsfreien Barmherzigkeit empfindet".

"Bodenhaftung" hatte Franziskus zu Beginn seines apostolischen Schreibens versprochen. Und in diesem Punkt löst er sie ein. Denn in der Frage, unter welchen Umständen wiederverheiratete Geschiedene - die nach der Lehre der Kirche in Sünde leben - das Abendmahl feiern dürfen, gibt er den Ortskirchen neue Spielräume. Priester und Bischöfe könnten nach genauer Prüfung einen solchen Kommunionsempfang ermöglichen. Unter Papst Benedikt XVI. war eine solche Option - unabhängig von der Entscheidungsinstanz - gänzlich ausgeschlossen.

Es wäre zu viel, dies schon einen Reformkurs zu nennen. Aber es wäre auch zu wenig, den neuen pastoralen Spielraum als eine Petitesse abzutun. Immerhin geht es um das Sakrament der Ehe, die mehr ist als eine "gesellschaftlichen Konvention" oder nur noch ein "leerer Ritus". Für Franziskus sind Eheleute "eine ständige Erinnerung an das, was am Kreuz geschehen ist; sie sind füreinander und für die Kinder Zeugen des Heils, an dem sie durch das Sakrament teilhaben".

Am Ende der Schrift folgt noch die Aufforderung an die Priester, in Sonderfällen zu erkennen, dass die "Wirkungen einer Norm nicht notwendig immer dieselben sein müssen". Und es gibt - fast versteckt - dazu die vielsagende Anmerkung, dass dies auch auf die "Sakramentenordnung" zutreffen kann. Schon während beider römischen Bischofssynoden war Papst Franziskus vor allem als Hörender aufgetreten. Auch seine Schrift wirkt wie ein Resonanzboden dieser Beratungen. Sie stellt der Morallehre barmherziges Handeln zur Seite und eröffnet der pastoralen Praxis eine neue Weite.

Überhaupt erscheinen dem Pontifex Regeln, die vor lauter Starrheit den Menschen und seine Bedürfnisse außer Acht lassen, selten angemessen und manchmal auch suspekt zu sein. Immer wieder kommt er darauf zu sprechen: auf moralische Gesetze, die angewendet werden, "als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft. Das ist der Fall der verschlossenen Herzen, die sich sogar hinter der Lehre der Kirche zu verstecken pflegen". Und schließlich: "Die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben."

Schneller als erwartet ist "Amoris Laetitia" bereits zum Diskussionspapier geworden. Der deutsche Kurienkardinal Walter Brandmüller (87) warnte vor einer Verwässerung der kirchlichen Lehre. Wer nach seinen Worten in "ungültiger Zweitehe" lebe, der dürfe nicht mit Hilfe einer "Salami-Taktik" die Zulassung zu den Sakramenten erreichen, sagte er der "Bild"-Zeitung. Während der Passauer Bischof Stefan Oster im Papstschreiben Anstöße zu einer pastoralen Neuorientierung sieht. Deutlich euphorischer wird der Text von Reformkräften ausgelegt: So sieht der Wiener Theologe Paul Zulehner darin eine "wahrhaft pastorale Wende" und die Reformbewegung "Wir sind Kirche" gar einen Epochenwandel.

Ein solcher Anspruch aber würde die Kraft des nachsynodalen Schreibens doch überfordern. Es ist keine Enzyklika, also keine lehramtliche Verlautbarung. Es ist ein weiteres Debattenpapier. Darin liegt seine Schwäche und zugleich seine Stärke. Ein nachvollziehbarer Reformkurs lässt sich daraus nicht ableiten.

So eingehend sich Franziskus mit den Geschiedenen und den Krisen einer Ehe auseinandersetzt, so rigoros bleibt er in seiner Meinung zu Homosexuellen. Wie er betont, gibt es "keinerlei Fundament" dafür, die Verbindungen zwischen Homosexuellen und der Ehe gleichzustellen und eine Analogie zum "Plan Gottes über Ehe und Familie" herzustellen - "auch nicht in einem weiteren Sinn". Was bleibt, ist die Bekräftigung, "dass jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden soll und sorgsam zu vermeiden ist, ihn in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen oder ihm gar mit Aggression und Gewalt zu begegnen."

Die Familiensynode kann eine Etappe werden, die weitere Schritte verlangen wird. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. In welche Richtung der Weg der katholischen Kirche führt? Vielleicht wird sich insgesamt das Gesicht der katholischen Kirche in der Welt verändern. Es wird mit der neuen Verantwortung für Ortskirchen vielgestaltiger, bunter werden - das heißt auch: synodaler. Dabei scheint die katholische Kirche Papst Franziskus immer ähnlicher zu werden: Sie bleibt weiter in Bewegung.

(los)
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