Istanbul Steudtner weist Terrorvorwürfe zurück

Istanbul · Seit mehr als drei Monaten saß der deutsche Menschenrechtler in der Türkei in Untersuchungshaft. Gestern ließ das Gericht ihn frei.

Türkei: Prozess gegen Peter Steudtner hat begonnen
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Prozess gegen Peter Steudtner in der Türkei hat begonnen

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Hunderte Menschen drängen sich am Morgen vor dem Gerichtssaal im Justizpalast im Istanbuler Zentrum, als der Prozess gegen den Berliner Peter Steudtner und zehn weitere Menschenrechtler beginnt. Den Aktivisten, die vor drei Monaten bei einem Menschenrechtsseminar auf der Insel Büyükada nahe Istanbul festgenommen wurden und seither in Untersuchungshaft sitzen, wirft die Staatsanwaltschaft Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation und Unterstützung von bewaffneten Terrororganisationen vor.

Das Verfahren gilt auch als Testfall für die angespannten deutsch-türkischen Beziehungen. Den elf Angeklagten, zu denen der schwedische Menschenrechtler Ali Gharavi, der Vorsitzende von Amnesty International in der Türkei, Taner Kiliç, sowie Amnesty-Landesdirektorin Idil Eser gehören, drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Nach einem langen Prozesstag kommt es am Abend zu einer kleinen Sensation. Gegen 21 Uhr fordert die Staatsanwaltschaft, die für elf Anklageschriften voller juristischer Absurditäten verantwortlich ist, überraschend selbst die Freilassung von Peter Steudtner, seinem schwedischen Kollegen Ali Gharavi und sieben anderen Angeklagten. Sie sollten unter bestimmten, nicht spezifizierten Auflagen bis zu einem Urteil auf freien Fuß kommen. Kurz brandet im Saal Beifall auf. Doch das Gericht entscheidet nicht sofort; rund zwei Stunden später lässt es Steudtner frei - ohne Auflagen.

Die Anklage stützt sich auf die Aussagen von zwei Dolmetschern des Seminars, die offenbar den Veranstaltern zuvor nicht bekannt waren, die besprochenen Themen kriminell fanden und sich deshalb an die Polizei wandten. Ihr Verhalten passt zum allgemeinen politischen Klima in der Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016, das von der Hexenjagd auf echte und vermeintliche Putschisten aus dem Umkreis der Gülen-Bewegung, Verschwörungstheorien und Denunziationen geprägt ist. "Haarsträubend", hatte Steudtners Verteidiger Murat Deha Boduroglu die gegen seinen Mandanten in der Anklageschrift geäußerten Vorwürfe in der Presse genannt.

Zum Prozessauftakt werden gestern im mit rund 150 Zuschauern völlig überfüllten Gerichtssaal die Personalien Steudtners mithilfe einer Übersetzerin aufgenommen. Der 45-jährige Berliner habe "gefasst, ruhig, selbstsicher" gewirkt, sagt der zum Prozess angereiste Grünen-Politiker Özcan Mutlu. Auch drei Abgeordnete der linken türkischen Oppositionsparteien CHP und HDP und der deutsche Generalkonsul aus Istanbul folgen der Verhandlung.

Als erste Angeklagte verteidigt sich Özlem Dalkiran, Mitarbeiterin der Istanbuler Menschenrechtsorganisation "Citizen Assembly". Sie sagt, dass sie die Anklageschrift mehrfach gelesen habe, aber immer noch nicht verstehe, worauf die Vorwürfe gegen sie eigentlich beruhten. Auf die Anschuldigung, sie habe das Seminar organisiert, entgegnet die Pazifistin: "Ein Seminar zu organisieren, ist kein Verbrechen." Andere Vorwürfe, die sie anspricht, klingen ähnlich grotesk.

Nach einer kurzen Pause wird Peter Steudtner aufgerufen. Er spricht etwa 40 Minuten auf Englisch, das eine Übersetzerin ins Türkische überträgt. Er beschuldigt die Polizei, ihn bei der Festnahme nicht über seine Rechte belehrt und einem "einschüchternden Verhör" von anderthalb Stunden unterzogen zu haben, und er kritisiert auch das türkische Justizsystem. Von den Terrororganisationen, die er angeblich unterstützt habe, habe er in der Anklageschrift erstmals gelesen. "Keiner der angeblichen Beweise verbindet mich mit einer dieser Gruppen", sagt Steudtner. "Einige Beweise gegen mich sind erfunden, der Rest hat keinen Bezug zu den Vorwürfen, und nichts davon verknüpft mich mit Terrorismus." Seine Arbeit als Menschenrechtstrainer sei in den vergangenen 20 Jahren stets auf Menschenrechte, Gewaltfreiheit und Friedensbildung ausgerichtet gewesen. Sein Fokus habe zudem auf afrikanischen Ländern gelegen: "Ich habe mich nie auf türkische Organisationen konzentriert oder mit ihnen gearbeitet."

Steudtner bedankt sich beim Gericht, das ihm die Möglichkeit gebe, sich zu verteidigen. Aber er zerpflückt detailliert die Widersprüche der gegen ihn aufgeführten Beweise und beschuldigt die beiden Dolmetscher, bestimmte Äußerungen provoziert und dann gegenüber der Polizei verfälscht zu haben. Wie absurd der Vorwurf sei, es habe sich um ein konspiratives Treffen gehandelt, illustriert er mit dem Satz: "Die Polizei hätte den Raum nicht stürmen müssen, da die Tür ohnehin die ganze Zeit offen stand." Auch Steudtner erklärt sich für "nicht schuldig". "Ich habe nie in meinem Leben irgendeine militante oder terroristische Organisation unterstützt", sagt er. "Ich lehne sämtliche Tatvorwürfe ab. Ich beantrage meine sofortige, bedingungslose Freilassung."

(RP)
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