Schwerpunkt Familienpolitik Spaltpilz Betreuungsgeld

Für die Regierung ist das Betreuungsgeld ein heißes Eisen. Es müssen immer mehr Kompensationsgeschäfte geschlossen werden, damit die Koalition zusammenhält.

Berlin Das Betreuungsgeld wird für die Regierungskoalition zum dauerhaften Konfliktthema. Die Opposition hat in der Debatte hingegen einen Wahlkampfschlager gefunden. In den Landtagswahlkämpfen in NRW und Schleswig-Holstein starten die Parteien Aktionen gegen die von der Bundesregierung geplante neue familienpolitische Leistung.

Viele Wahlkämpfer von CDU und FDP in den Ländern ballen unterdessen die Faust in der Tasche. Denn bei den Christdemokraten und Liberalen ist die Skepsis gegenüber dem Betreuungsgeld groß. Für die CSU ist es hingegen ein Identifikationsthema.

Die neue Leistung soll zum 1. Januar 2013 eingeführt werden. Für Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in eine staatlich geförderte Betreuung geben, sollen anfangs 100 Euro monatlich, später 150 Euro gezahlt werden.

Für neue Turbulenzen sorgte gestern die Nachricht, dass das Betreuungsgeld auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden soll. Damit würden arme Familien von der neuen Leistung nicht profitieren. Von der Opposition kam ein Trommelfeuer an Kritik. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sprach vom "letzten Beweis" für die Überflüssigkeit dieser Leistung. Eine arbeitslose Mutter ohne Kita-Platz gehe leer aus, "und eine gut situierte Managerfrau bekommt es", kritisierte Nahles.

Innerhalb der Koalition wirkt das Vorhaben der Anrechnung hingegen friedensstiftend: Die CSU reagierte positiv. "Das Betreuungsgeld kann nicht zusätzlich zu Hartz IV ausbezahlt werden", sagte die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Dorothee Bär, unserer Zeitung. Hartz IV sei eine gesellschaftliche Leistung, die eine bedarfsgerechte Grundsicherung für den Lebensunterhalt bringen solle. Weitere staatliche Leistungen müssten daher angerechnet werden. "Dies gilt für das Kindergeld genauso wie für das Elterngeld und auch zukünftig für das Betreuungsgeld."

Die Kanzlerin war gestern aber offenbar nicht erfreut, dass nun auch die Debatte um die Hartz-IV-Empfänger in Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld losgebrochen ist. Wie Beobachter berichteten, betrat sie mit sichtlich schlechter Laune den Kabinettssaal. Schon beim unionsinternen Frühstück vor der Kabinettssitzung hatte sich eine Diskussion über die schlechte Kommunikation der Regierung zum Betreuungsgeld entsponnen.

Führende Regierungskreise versichern, das Betreuungsgeld werde trotz der großen Zahl an Gegnern in CDU und FDP die schwarz-gelbe Koalition nicht auseinandertreiben. "Kein Mensch will wegen des Betreuungsgeldes die Koalition platzen lassen", sagte ein Regierungsmitglied der Union unserer Zeitung. Die Geldleistung sei verabredet, von Parteitagen unterstützt und werde deshalb auch Gesetz. Nun gehe es nur noch darum, den Kabinettsbeschluss bis nach den Landtagswahlen hinauszuzögern. So könnten sich Gegner des Betreuungsgeldes wie die NRW-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen (CDU) und Christian Lindner (FDP) profilieren.

Entschieden ist auch, dass die CDU-Frauen für ihre Zustimmung zum Betreuungsgeld höhere Rentenanwartschaften für Mütter durchsetzen können. Kanzlerin Merkel soll intern ihre Zustimmung signalisiert haben.

Die FDP erwartet — vorausgesetzt, sie zieht in die Landtage in Kiel und Düsseldorf ein und kann eine Führungsdebatte im Bund vorerst vermeiden — für ihr Ja zu den höheren Mütter-Renten ebenfalls ein Entgegenkommen auf anderen politischen Feldern, wie es in der FDP-Spitze heißt. Demnach wollen die Liberalen die Abschaffung der Praxisgebühr oder ein Bekenntnis der Union zu einem ausgeglichenen Haushalt schon 2014 herausverhandeln.

Die CSU hat intern bereits signalisiert, dass sie gegen eine raschere Haushaltskonsolidierung nichts einzuwenden habe. Angeblich haben sich Kanzlerin Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Chef Philipp Rösler bereits darauf verständigt, kurz nach den Wahlen den Koalitionsausschuss einzuberufen, um die zentralen Konfliktfelder auszuräumen.

Bis zum Sommer, wenn die Parteien ihre Listen für die Bundestagswahlen 2013 vorbereiten, hätten dann auch die FDP und ihr Parteichef Philipp Rösler Zeit, sich in den Umfragen wieder einigermaßen zu stabilisieren, heißt es in der Union. Einen Koalitionsbruch will Merkel, so ist es in der Union allenthalben zu hören, auf jeden Fall vermeiden. Die SPD würde eine große Koalition ein Jahr vor der Bundestagswahl ohnehin ablehnen, die Schuld für das Aus von Schwarz-Gelb würde auch der CDU-Chefin zugerechnet, und mitten in der europäischen Schuldenkrise wäre eine Regierungskrise auch international das "völlig falsche Signal", sagte ein enger Mitstreiter der Kanzlerin.

Trotz aller Kompensationsgeschäfte zwischen CDU, CSU und FDP wird der Regierungskoalition das Thema Betreuungsgeld als Achillesferse erhalten bleiben. 2013 wird im Bund und in Bayern gewählt. Während die CSU in Bayern das Betreuungsgeld als ihren Erfolg feiern wird, müssen die Koalitionäre auf Bundesebene ertragen, dass die Opposition das Thema für sich weiter ausschlachtet.

SPD-Chef Sigmar Gabriel kündigte an, dass die SPD im Fall einer Regierungsübernahme 2013 das Betreuungsgeld wieder abschaffen werde. "Natürlich wird eine rot-grüne Bundesregierung den Unsinn mit dem Betreuungsgeld zurücknehmen", sagte Gabriel unserer Zeitung. "Wir brauchen mehr Geld für Bildung und Betreuung", betonte er. Rot-Grün werde deshalb "in mehr und bessere Kita-Plätze und in Ganztagsschulen investieren — und das Geld nicht für das unsinnige Betreuungsgeld verplempern".

(RP/jh-/jco)
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