Borussia Mönchengladbach Borussias Geheimnisträger

Mönchengladbach · Philipp Schützendorf ist ein Geheimnisträger. Er hat zwar keine Verschwiegenheitsklausel zur Taktik in seinem Vertrag, doch ist es für ihn Ehrensache, nicht über das zu sprechen, was er weiß. Denn Schützendorf ist Borussias Videoanalyst, zudem ist er für die Datenauswertung zuständig. Und damit der Mann, der die taktischen Gedanken von Trainer André Schubert ganz genau kennt.

 Philipp Schützendorf ist Borussias Videoanalyst, zudem ist er für die Datenauswertung zuständig.

Philipp Schützendorf ist Borussias Videoanalyst, zudem ist er für die Datenauswertung zuständig.

Foto: Dirk Päffgen

Er weiß, wie Borussia spielt, aber er schweigt. "Zwischen dem Trainer, seinem Team und mir besteht ein enges Vertrauensverhältnis, der enge Kontakt ist entscheidend", sagt Schützendorf.

Dass er in aller Tiefe eingeweiht ist in die Pläne, macht Sinn. Denn der Analyst muss wissen, was der Trainer vorhat, wenn er seine Analysen zusammenstellt, er muss die Winkelzüge kennen, wissen, wie man das Team optimal auf die Gegebenheiten des anstehenden Spiels einstellt. Wie zuletzt beim ersten Champions-League-Play-off in Bern. Da wurde der lange Guillaume Hoarau als möglicher Problemfall ausgemacht, den seine Kollegen immer wieder mit langen Bällen füttern. Bälle verlängern in den Strafraum, Bälle ablegen, das ist sein Job in Bern. Die Diagnose des Analysten: Das Gefahrenpotenzial ist groß.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt

Schuberts taktische Medikation hieß Tobias Strobl. Borussias neuer Mann aus Hoffenheim, in der Defensive multifunktional, spielte neben Christoph Kramer auf der Doppelsechs, und in Personalunion stellten die beiden Hoarau. Der wurde nur selten richtig gefährlich. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.

Seit der vergangenen Saison ist Schützendorf für die Analyse zuständig, angefangen hat er noch bei Lucien Favre. "Natürlich hat jeder Trainer andere Schwerpunkte — aber jeder versucht immer, das Optimale aus jedem Spieler herauszuholen", sagt Schützendorf, zuvor in der Medienabteilung für Fohlen.TV zuständig. Der Wechsel zur Videoanalyse passt aber, Schützendorf hat auch die A-Lizenz, bei Borussia startete er 2007 als Jugendcoach. Er ist also ein Mann vom Fach in doppelter Hinsicht. "Der sportliche Hintergrund hilft", sagt der Diplom- Sportwissenschaftler, der 2015 zum Thema "Fairness im Profifußball" promovierte.

Die Videoanalyse ist im Fußball zunehmend wichtig geworden. In anderen Sportarten ist sie schon länger etabliert, zum Beispiel beim Hockey. Da gibt es dieses Hilfsmittel seit Jahrzehnten. Während beim Hockey schon mit viel Bildmaterial gearbeitet wurde, verließen sich Fußballtrainer noch auf das, was sie selbst sahen. Das hat sich geändert. Inzwischen hat jeder Bundesligist einen Videoanalysten angestellt. Der erste richtige bei Borussia war Schützendorfs Vorgänger Kai Schmitz, der vor einem Jahr zum SC Paderborn ging — als Athletiktrainer.

Schützendorfs digitales Archiv ist gigantisch

Im Prinzip sind die Analysten Sammler. Sie sammeln Spielszenen und Daten über die Spiele, jeden einzelnen Spieler und den Gegner. Schützendorfs digitales Archiv ist gigantisch. Die Datenberge können sie in vielfacher Weise aufdröseln, zusammenstellen, neu mischen, interpretieren bis ins kleinste Detail. Er sieht ein Fußballspiel inzwischen anders, mit dem professionellen Blick. Aber er kann nach wie vor auch ganz einfach als Freund des Spiels zusehen, ohne zu sinnieren, welcher Laufweg jetzt zu welcher Passfolge besser gepasst hätte.

Während eines Spiels spielt Schützendorf das Livebild in seinen Laptop ein mit dem Blick von oben, von der Tribüne aus. In der Halbzeit wird es dann stressig: runter in die Kabine, die wesentlichen Szenen der 45 Minuten präsentieren, Schlüsse ziehen. "Ich kenne natürlich die Schwerpunkte, auf die André Schubert Wert legt", sagt Schützendorf. Der Trainer kann so seinen Spielern quasi "live" veranschaulichen, was warum wie gelaufen ist. Schützendorf ist aber auch bei Trainingseinheiten dabei. Zum Beispiel, wenn Zehn gegen Null gespielt, also Taktik ohne Gegner geübt wird. Da dirigiert Schubert die Laufwege.

Die Video- und Datenanalyse ist dazu da, den Plan des Fußballs zu entschlüsseln, dem Spiel seine Geheimnisse zu entreißen. "Ziel ist, die Mannschaft auf jeden Gegner perfekt vorzubereiten — dabei hat man auch immer einen Plan B im Blick", sagt Schützendorf. Doch es gibt ein Aber, und das ist begründet in der Launenhaftigkeit des Fußballs, in seiner absoluten Unberechenbarkeit. "Es gibt sehr viele Aspekte in einem Spiel, auf die man schauen kann. Man kann alle Infos, alle Details zusammengetragen und analysiert haben. Und trotzdem geht der Fußball doch immer wieder seinen eigenen Weg und hat eine eigene Dynamik", sagt Schützendorf.

"Wir versuchen, ein Spiel so planbar wie möglich zu machen. Aber es gibt eben Grenzen", weiß der gebürtige Mönchengladbacher. Für den Videoanalysten ist diese Botschaft einigermaßen ernüchternd. Denn bei aller Akribie, mit der Schützendorf seine Fußball-Filme vorbereitet, um Schubert die bestmögliche Grundlage für die Spielvorbereitung zu schaffen, gibt es doch das Wissen um den blinden Fleck der Erkenntnis — dort, im toten Winkel der Analyse, kann das entscheidende Detail verborgen sein. Allerdings: Für den Fan ist das eine frohe Botschaft. Denn auch Männer wie Borussias Geheimnisträger Schützendorf können dem Fußball seine letzten Geheimnisse nicht total entreißen.

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