Hahnenkamp-Abfahrt in Kitzbühel Wahnsinn auf zwei Brettern

Kitzbühel/Düsseldorf · Das Abfahrtsrennen heute in Kitzbühel ist der Höhepunkt des Ski-Weltcups: vereiste Piste, 86 Prozent Gefälle, Spitzentempo 153 km/h. Der Start verzögert sich noch wegen Nebels.

Fakten zum Hahnenkamm-Rennen
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Foto: afp, OLIVIER MORIN

Marc Gisin (26) geht es gut. Angesichts der Umstände zumindest. Der Schweizer hatte an der Hausbergkante die Kontrolle über seinen Körper und seine Skier verloren, hatte sich mehrfach überschlagen, war in den Fangnetzen gelandet und vom Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen worden. Wie das eben mal vorkommt, wenn die Skirennläufer in Richtung des Tiroler Schickimicki-Ortes Kitzbühel hinunter rasen. Gisin hat nur ein leichtes und von den Ärzten als "unbedenklich eingestuftes" Schädel-Hirn-Trauma erlitten, teilte der Schweizer Skiverband mit.

Gisins Unfall ereignete sich gestern im Super-G. In dieser Wettbewerbsart des alpinen Skisports wird bei weitem nicht das Tempo erreicht wie in der Abfahrt. Die folgt heute. Die eigentliche "Streif", das Rennen mit Geschwindigkeiten von bis zu 153 km/h auf einer komplett vereisten Piste, findet heute Mittag statt. Sie ist die härteste Prüfung in dieser Sportart. Ein Spektakel mit 45.000 Zuschauern und der höchste weltliche Feiertag in Österreich. Die Hahnenkammrennen waren in den 1930er-Jahren gegründet worden, um englische Touristen zu locken.

Kitzbühel ist eine Gratwanderung zwischen Sport und reinem Spektakel dicht am Wahnsinn. Gefährliche Situationen und schlimme Stürze gehören für das Publikum dazu - genau wie es Rainhard Fendrich in seinem Klassiker "Es lebe der Sport" singt, in dem er seinen österreichischen Landsleuten im Fernsehsessel den Spiegel vorhält. Auch auf die Athleten übt das Rennen maximale Faszination aus. Und zwar nicht nur, weil der Sieger eine Prämie von 75.000 Euro bekommt. Streifsieger zu werden sei "ein Wahnsinn", sagte Sepp Ferstl im Interview mit der FAZ. "Ich sehe es doch. Bei mir ist es jetzt 36 Jahre her und noch immer fragen mich die Leute danach." Ferstl, der 1978 und 1979 der Schnellste war, ist der einzige deutsche Sieger in der 75-jährigen Geschichte des Rennens. Sepps Sohn Josef tritt heute an. Zum Favoritenkreis gehört er allerdings nicht. Landsmann Tobias Stechert fehlt. Er zog sich im Training eine Knieverletzung zu: Knochenstauchung. Das nächste Opfer der Streif.

Hahnenkamp-Abfahrt in Kitzbühel: Wahnsinn auf zwei Brettern
Foto: Radowski

Stecherts Verletzung ist freilich eine leichte Blessur, gemessen an dem, was dem Schweizer Daniel Albrecht 2009 und dem Österreicher Hans Grugger zwei Jahre später widerfuhr. Der eine stürzte am Zielsprung, der andere auf dem Streckenabschnitt Mausefalle. Beide lagen wochenlang im Koma, beide schwebten in Lebensgefahr. Der Zielsprung war nach Albrechts Sturz entschärft worden, nun wurde aber wieder erhöht.

Hahnenkamp-Abfahrt in Kitzbühel: Wahnsinn auf zwei Brettern
Foto: Anna Radowski
Die schwersten Stürze auf der "Streif" in Kitzbühel in Österreich
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Die schwersten Stürze auf der "Streif"

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Der Horror-Sturz von Daniel Albrecht
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Der Horror-Sturz von Daniel Albrecht

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Auch den Hartgesottenen verlangt die Streif höchsten Respekt ein. Olympiasieger Matthias Mayer, neben dem Norweger Kjetil Jansrud der Favorit heute, sagt: "Ich hatte die Hose voll, als ich zum ersten Mal im Starthaus stand." Normal-Skifahrer haben keine Chance, die präparierte Strecke zu meistern. Nicht wegen der Steilheit, sondern weil sie komplett vereist ist. Auf Schlittschuhen hätte man eher eine Chance als auf Skiern. Nirgend sonst werden die Punkte zwei und vier der in der Wettkampfordnung festgeschriebenen "Allgemeinen Eigenschaften" einer Abfahrtsstrecke so erfüllt wie in "Kitz": "Eine Abfahrt wird durch die fünf Komponenten Technik, Mut, Geschwindigkeit, Risiko und physische Kondition bestimmt."

(RP)
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