Kritik der OECD Soziale Kluft in Deutschland wächst

Berlin · Die OECD kritisiert das Rentenpaket der großen Koalition.

Trotz der seit 2010 guten Wirtschaftslage wächst nach Einschätzung der Industrieländer-Organisation OECD in Deutschland das Armutsrisiko. Geringverdienern drohe Altersarmut, der Arbeitsmarkt sei zunehmend gespalten, die Bildungschancen von Kindern aus einkommensschwachen Familien weiterhin auffallend gering, heißt es im neuen Deutschland-Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der gestern vorgelegt wurde. OECD-Generalsekretär Angel Gurrìa riet der Bundesregierung, Geringverdiener durch die Senkung der Sozialabgaben zu entlasten. Vermögensteuern könnten angehoben werden, um die künftig steigenden Sozialausgaben zu finanzieren.

Das sind neue Töne von der OECD, die noch vor gut einem Jahrzehnt soziale Einschnitte und umfangreiche Strukturreformen zur Wachstumssteigerung in Deutschland gefordert hatte. Heute sieht die Pariser Organisation, der 30 Länder angehören und die alle zwei Jahre einzelne Länderberichte vorlegt, mehr Bedarf an einer gerechteren Verteilung der Steuer- und Abgabenlast als vor gut zehn Jahren.

Gurrìa begrüßte ausdrücklich die geplante Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015. Der Mindestlohn sei ein ermutigendes Signal an Geringverdiener. Der Niedriglohnsektor sei in Deutschland relativ ausgeprägt. Dies erhöhe das Armutsrisiko im Alter, da die Renten der Betroffenen oft nicht ausreichen werden, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Zugleich seien die Aufstiegschancen von Angehörigen aus einkommensschwachen Haushalten in Deutschland geringer als in anderen Ländern.

Die Abgabenlast der Geringverdiener müsse sinken, die Steuerfinanzierung der Sozialausgaben steigen. Um keine Löcher in den Staatshaushalt zu reißen, könne die Regierung die Grundsteuer anheben, die Erbschaftsteuer ausweiten und Gewinne aus Immobilienverkäufen der Abgeltungssteuer unterwerfen. Die zehnjährige Spekulationsfrist müsste demnach entfallen. Auch bei den Umweltsteuern sieht die OECD Korrekturbedarf. "Leute dürfen nicht dafür bezahlt werden, dass sie die Umwelt beschädigen", sagte Gurrìa. Das gelte etwa für die Kfz-Steuer in Deutschland, die Diesel gegenüber Benzin begünstige. Auch die Ausnahmen vieler Industrieunternehmen von der Ökosteuer fördern Umweltbelastungen.

Das Rentenpaket der neuen Bundesregierung sieht die OECD kritisch. Anreize für Frühverrentungen dürfe es nicht geben, die Lebensarbeitszeit müsse, im Gegenteil, eher verlängert werden. Der OECD-Generalsekretär begrüßte daher die neue Diskussion über Maßnahmen für einen flexibleren Renteneintritt. Deutschland müsse zudem Frauen fördern, die Vollzeit erwerbstätig sein wollten. Frauen seien überrepräsentiert in unterbezahlten Teilzeit-Jobs, warnte die OECD. Mehr Kitas seien ein Teil der Lösung.

Deutschland habe zwar gute Wachstumsperspektiven, dürfe sich auf seinen Erfolgen aber nicht ausruhen. Die deutsche Wirtschaft wird nach der OECD-Prognose im laufenden Jahr um 1,9 und im kommenden Jahr um 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr wachsen.

(mar)
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