Die wollen nur spielen Die schärfsten Sportwagen fahren virtuell

Tokio/Stuttgart · Staus und teurer Sprit sorgen dafür, dass es auf unseren Straßen immer langsamer vorangeht. Nur auf den Spielkonsolen wird weiter gerast. Die Autohersteller mischen in der virtuellen Welt munter mit und schicken ihre schärfsten Sportwagen ins Rennen.

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Flach, breit, stark und für nichts anderes als zum Rasen gemacht - eigentlich ist der Mercedes Vision Gran Turismo so etwas wie der Blech gewordene Alptraum aller Umweltschützer.

Doch dieser Silberpfeil verbrennt keinen Tropfen Sprit:Er ist nicht viel mehr als ein Datensatz, der allein für die virtuelle Raserei auf einer Spielkonsole programmiert wurde. Und damit steht der Vision GT nicht alleine da: Immer mehr Autohersteller entwerfen für Playstation und Co. eigene Rennwagen.

Was in den Anfangsjahren der Autorennspiele mit der simplen Überführung aktueller Fahrzeuge aus der realen in die virtuelle Welt begann, ist längst zu einem eigenen Entwicklungszweig geworden. Denn neben Serienmodellen, Oldtimern und Rennwagen stehen in den Fuhrparks der PC- und Konsolenspiele mittlerweile zahlreiche Autos, die allein für die elektronische Raserei entworfen wurden.

Treiber dieser Entwicklung ist Kazunori Yamauchi, der Vater der "Gran-Turismo"-Spieleserie, die laut Hersteller Sony mit 50 Millionen verkauften Exemplaren zu den weltweit erfolgreichsten Videospielen zählt. "Schon als Kind waren für mich die Konzeptfahrzeuge auf den Automessen immer die spannendsten Ausstellungsstücke:fantastische Geschenke, die eine leuchtende Zukunft versprachen", sagt Yamauchi.

Weil dieses Gefühl bis heute gleich sei, habe er seinen Einfluss geltend und die PS-Branche zum 15. Geburtstag der Gran-Turismo-Serie um eine Reihe eigens für die Simulation entworfener Showcars gebeten.

Die Antworten darauf ließen nicht lange auf sich warten: Neben dem Vision GT von Mercedes sind im rund 1200 Fahrzeuge umfassenden Fuhrpark des Spiels eigene Entwürfe von fast zwei Dutzend Herstellern zu finden.

Dazu zählt neben Studien von BMW, VW, Alfa Romeo und branchenfremden Unternehmen wie Nike auch der Toyota FT-1, der genau wie der Silberpfeil den Sprung von der Vision zur Wirklichkeit zumindest ein Stück weiter geschafft hat: Beide Rennwagen standen mittlerweile als 1:1-Modelle schon auf einer Automesse. Mehr hätten sie damit allerdings nicht vor, erklären Mercedes und Toyota unisono.
An eine Serienfertigung sei nicht mal ansatzweise gedacht.

Die Kreativabteilungen der Autobauer inszenieren im Spiel nicht nur ihre kühnsten Konstruktionen auf digitalen Rennstrecken. Sondern die Konsolenspieler werden auch zu Testfahrern und machen mitunter den gesamten Entwicklungsprozess eines neuen Autos mit: Noch bevor der US-Hersteller Chevrolet die Neuauflage der Corvette präsentierte, fuhr dieser Sportwagen schon im Tarnkleid der Erlkönige über die Bildschirme, berichtet das Unternehmen.

Und kaum war das Original enthüllt, ließ per Software-Update auch der virtuelle Wagen die Hüllen fallen und stand ohne Prototypen-Tarnung in der Pole-Position.

Dass die Autohersteller bei diesen Spielereien gerne mitmachen, hat einen einfachen Grund: "Simulationsspiele sind wichtig für die Außendarstellung und ein Instrument der Kundenbindung", sagt Caroline Pilz aus dem Mercedes-Marketing. Und gegenüber klassischer Werbung oder Produktplatzierungen erkennt sie noch einen Vorteil: "Man sieht das Auto nicht nur, man kann es fahren."

Damit das gelingt, treiben die Spielehersteller einen hohen Aufwand: Die Programmierer haben laut Pilz ziemlich freien Zugriff auf die Konstruktionsdaten der Serienmodelle, und bei Autos wie dem Mercedes Vision GT oder dem Toyota FT-1 bekommen sie das Design quasi frei Haus geliefert.

Aber damit ist es noch nicht getan, sagt Craig Sullivan. Er ist Creative Director beim Gran-Turismo-Konkurrenten "Need for Speed" von Electronic Arts und beginnt mit der Programmierung etwa anderthalb Jahre vor der Markteinführung eines Spiels.

Pro Auto veranschlagt Sullivan etwa sechs Wochen am Computer. Seine Mannschaft will nicht nur die perfekte Karosserie und ein detailliertes Interieur auf den Bildschirm bringen. "Wir nehmen auch alle Sounds eines Fahrzeugs auf, feilen am Handling und am Fahrgefühl - und kümmern uns sogar um die Crashs." Während Autobauer alles tun, um Unfälle zu vermeiden, investieren die Spieleentwickler viel Geduld in Beulen und geborstene Bleche, damit nur alles schön echt aussieht.

Obwohl sie die Realität so gut wie eben möglich abbilden wollen, räumt Sullivan eine wichtige Ausnahme ein: "Zwar wollen wir, dass die Autos im Spiel genauso so klingen, sich so anfühlen und fahren wir im richtigen Leben. Doch wer auf der Rennstrecke mit 300 km/h um die Kurven driften will, muss ein verdammt guter Fahrer sein. Mit unserem ganz eigenen Fahrwerkstuning reichen dagegen ein paar Minuten Spielpraxis, dann hat man auch den schärfsten Sportwagen im Griff." Selbst 1000-PS-Sportwagen beherrschen zu können, sei doch die eigentliche Magie bei solchen Spielen.

Zuerst geht es bei den Rennsimulationen natürlich um Zeitvertreib, Spannung und Spaß. Für Rennfahrer wie Michael Krumm können sie aber auch fürs wahre Leben nützlich sein. Der ehemalige GT1-Weltmeister aus Reutlingen sitzt selbst immer wieder am Simulator, und viele Kollegen bis hinauf in die Formel 1 tun es ihm gleich. "Man wird dort nie die perfekte Fahrzeugbeherrschung lernen", räumt er ein. "Aber man bekommt die nötige Streckenkenntnis und schult seine Reflexe."

Die mögliche Befürchtung, dass es Videospiel-Raser auch auf der Straße häufiger krachen lassen, ist offenbar unberechtigt: "Nach allem, was uns bekannt ist, wirken sich Rennsimulationen und PC-Spiele nicht negativ auf den Straßenverkehr aus", sagt Gerhard von Bressensdorf von der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände. "Wir gehen davon aus, dass die Menschen an den Konsolen sehr wohl Realität und Spiel unterscheiden können."

Und wer am Trainingseffekt der Spiele zweifelt, der sollte mal mit Jann Mardenborough sprechen: Der junge Brite zählt zu den ersten Gewinnern der GT Academy, die Nissan ins Leben gerufen hat. Hier bekommen die besten Spieler, die unter anderem aus Online-Duellen hervorgehen, eine professionelle Rennfahrerausbildung. Und einen Startplatz bei einem echten 24-Stunden-Rennen gibt es noch dazu.

Mardenborough saß in der Vorentscheidung oft zwei, drei Stunden täglich an der Konsole, wie er sagt, und ließ in der heißen Phase nur noch zum Essen und Schlafen die Finger davon. Laut Nissan hat er sich gegen fast 100 000 Spieler in ganz Europa durchgesetzt - und er rettete Talent ins echte Leben. Inzwischen ist er Profi-Rennfahrer und mit einem Cockpit in der GP3-Serie auf dem besten Weg in die Formel 1. Was dafür auf der Strecke blieb:"Zeit für Autorennen am Computer oder der Konsole habe ich jetzt kaum mehr."

(dpa)
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