Baden-Baden Der neue Gursky - ein Kanzler-Quartett

Baden-Baden · Der Düsseldorfer Meister der modernen Fotografie zeigt im Frieder-Burda-Museum Klassiker und neue Bilder.

Das Genre Kanzler-Foto ist in Deutschland eigentlich schon besetzt. Herlinde Koelbl hatte über Jahre die Häutungen von Angela Merkel und Gerhard Schröder dokumentiert. Andreas Mühe begleitete Merkel auf Reisen und bekam dafür von der Presse das Etikett "Kanzlerfotograf" zugewiesen. Er rächte sich mit der Serie "A.M. Eine Deutschlandreise", in der er ein Model die Rolle der Republik-Lenkerin spielen ließ. Man sah sie in der Rücken-Perspektive, wie sie wohlwollend die Kreidefelsen auf Rügen betrachtete, den Karl-Marx-Kopf in Chemnitz und die Loreley am Rhein.

Ein ähnliches Täuschungsmanöver gelingt jetzt Andreas Gursky in seiner neuen Ausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden. Die Verstärkung der Kanzlerin lässt sich sehen. Wenn auch nur aus der beliebten Caspar-David-Friedrich-Position der Rückenpartie. Auf dem frisch aus dem Drucker kommenden, fünf Meter breiten Hochglanz-Digitalfoto hat sich ein geschichtsträchtiges Quartett vor einem blutroten Farbfeld-Gemälde von Barnett Newman eingefunden. Der Betrachter ist ausgesperrt. Er muss auf das Aquarium-Geschehen durch ein angedeutetes Fenster schauen. Merkel, im gelben Jackett, richtet den Blick zum erwartungsgemäß Rauchschwaden produzierenden Helmut Schmidt. Rechts von ihr döst Helmut Kohl vor sich hin, während Gerhard Schröder am anderen Ende unruhig die Konkurrenz fixiert, die ihm seinen Stellenwert in den bundesrepublikanischen Annalen streitig machen könnte.

Das mit "Rückblick" doppeldeutig betitelte Gruppenbild reizt zu Fantasien. Zumal Andreas Gursky nach seinem 60. Geburtstag hier eine Richtung einschlägt, die zu neuen Ufern zu streben scheint. Konkrete Personen rücken in den Vordergrund und nicht mehr anonyme Massen. Für die digitale Montage musste er keinen Fuß vor die Tür setzen. Anders als bei den meisten in den transparenten White Cubes des Hauses prächtig zur Geltung kommenden Riesenformaten, die ausgiebige Reisen rund um den Globus erforderten.

Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie in Berlin und Kurator der Schau, hat sie unter dem Aspekt der gesellschaftlich relevanten Subversion ausgewählt. Nicht die Schauwerte der perfekt arrangierten Tableaus, weder die Millionen-Preise noch die oft bemühten Bezüge zur Malerei, sondern der gute alte Inhalt soll den Takt der beachtlich bestückten Retrospektive geben.

Den Willen zur Irritation sucht man zwar in dem eher staatstragenden "Rückblick" vergeblich. Der Klassiker "Rhein II" von 1999 schweigt natürlich auch erhaben weiter und pfeift auf die Erwartungen einer politischen Aussage. Die "Lehmbruck"-Serie von 2013/2014 kann man allenfalls unter Kunstmarkt-Bashing verbuchen. In seiner fiktiven Kunstsammlung in dem Innenhof des Duisburger Museums versammelt Gursky Trophäen von Kollegen wie Katharina Fritsch, Neo Rauch oder Gerhard Richter. In dem "Lager" von 2014 gibt er sich gar selbstreflexiv und zeigt die eigenen Werke als Flachware, gehortet hintereinander in einer verschiebbaren Stahlkonstruktion.

Und auch die Spiderman-Hommage "SH IV" von 2014 will nicht wirklich weh tun. Zu sehen war sie bisher nur in London und Hannover. Der Comic-Held steht in voller Montur vor dem Hermès-Tower in Tokyo, während ihm der Schauspieler Tobey Maguire, eingesperrt in einem beleuchteten Schaufenster, zuwinkt. Eine an künstlicher Ästhetik nicht zu überbietende Abrechnung mit den Scheinwelten von Hollywood? Oder eher Gurskys verspielte Verweigerung des lange fortlebenden Images eines Hyperrealisten?

Gleich die ersten Motive, die sich in Parterre ins Blickfeld schieben, lassen keinen Zweifel daran, dass er ein begnadeter Seismograph der globalisierten Nullerjahre war. Ob die ausufernden Anzeigetafeln des Frankfurter Flughafens, die Hektik der Börse in Chicago, industrielle Ackerbewirtschaftung, vermüllte Flüsse in Asien oder nordkoreanische Masseninszenierungen des Kollektivstaats - der Wucht dieser totalen Einblicke kann man sich auch heute nicht entziehen. Trotz des Charakters einer Konstruktion und der stets offen gelegten Unzuverlässigkeit des Mediums.

Beim Gang durch die Schau kommt so etwas wie Wehmut auf. Bedeutet Gurskys Neuorientierung zum Märchenonkel der Republik, der das Pochen auf die Authentizität seiner Sujets endgültig ad acta legt, das Ende einer Künstler-Ära? Möchte man sich in Zeiten einer im vollen Gange ausgetragenen Neusortierung der Welt, deren Anfänge er früher kongenial einfing, mit Superhelden und aussitzenden Kanzlern beschäftigen? Aber vielleicht sind die neuen Bilder nur das Zeugnis eines Insichgehens und Runterschaltens vor dem nächsten zeitdiagnostischen Knüller. Auf den Superhelden Gursky möchte schließlich doch wohl niemand wirklich verzichten.

(RP)
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