Bonn Die Frau mit dem fotografischen Gedächtnis

Bonn · Die Düsseldorfer Fotografie-Künstlerin Katharina Sieverding blickt in Bonn auf 50 Jahre eindrucksvoller Arbeit zurück.

Als Fotografin setzt sich Katharina Sieverding gern selbst in Szene. Das hat man ihr, der Schülerin von Joseph Beuys, zuweilen zum Vorwurf gemacht. Auch in der Retrospektive, die ihr nun die Bundeskunsthalle in Bonn ausgerichtet hat, lenkt die mittlerweile 72-Jährige die Blicke der Besucher gern auf sich, ebenso wie Beuys in seinen Performances. Vorzugsweise in Serien füllen ihr Gesicht oder einzelne Partien Großformate, die ganze Wände beanspruchen.

Das zeugt von Selbstbewusstsein, aber auch von künstlerischem Raffinement. Denn wenn sie in einer Arbeit aus ihrem Zyklus "Die Sonne gleich um Mitternacht schauen" von 1973 schon zu Beginn des Rundgangs dem Publikum vielfach mit Goldstaub im Gesicht gegenübertritt und dadurch Daten wie Hautfarbe, Alter und Geschlecht löscht, ist sie bereits bei ihrem Thema: Was macht die Identität eines Menschen aus, und wie wichtig ist dabei eigentlich das Geschlecht? Katharina Sieverding benutzt dabei ihr Äußeres nur als Folie. Als Darstellerin nimmt sie sich so schnell zurück, wie sie ihr Gesicht belichtet hat.

Dabei darf man nicht vergessen, dass die eigentliche Arbeit erst in der Dunkelkammer oder in neueren Arbeiten am Computer beginnt. Fast alchemistische Verfahren rufen Unschärfe hervor, tauchen die Darstellungen in ein farblich bestimmtes, einheitliches Licht und wecken dadurch oft den Eindruck historischer Distanz.

Ein paar Schritte weiter zeigt Katharina Sieverding schon wieder ihr Gesicht, 16-fach im "Stauffenberg-Block" von 1969/1996. Rötlich und durch Überbelichtung verfremdet schimmern Augen-, Nase- und Mundpartien, als wollten sie uns etwas sagen. Aber was? Wahrscheinlich ist diese aufwendige Arbeit eine Verbeugung vor dem Widerstandskämpfer und zugleich eine Selbstbefragung nach Moral und politischer Verantwortung.

Überwiegend in Großformaten führt die Ausstellung nicht nur durch das deutsche, sondern auch durch das globalisierte 20. und 21. Jahrhundert. Da amerikanische und deutsche Szenen oft nebeneinander hängen und man sich die zeitgeschichtlichen Hintergründe erst aus bereitgelegten Informationsblättern erschließen muss, stellt der Rundgang einige Ansprüche. Doch er lohnt die Mühe - nicht nur weil man hier auf dem "Schlachtfeld Deutschland" eine violett eingefärbte, verfremdete GSG-9-Einheit richtig erkannt und dort etwas über "Hammer und Sichel über Nevada" aus der Zeit des Kalten Kriegs erfahren hat. Beeindruckend ist vor allem die technische und kompositorische Perfektion, mit der Katharina Sieverding Vorlagen aus Zeitschriften mit Bedeutung auflädt oder aus mehreren vorgefundenen Fotos eine Collage fügt, die sich weit über ihr Ausgangsmaterial erhebt.

Schon im Foyer hat Katharina Sieverding mit ihrer 1993 auf Berliner Plätzen plakatierten Feststellung "Deutschland wird deutscher" die Besucher darauf eingestimmt, dass sie sich als kritische Beobachterin der Gesellschaft versteht. Ihrer Reaktion auf die rechtsradikalen Aktionen nach dem Fall der Mauer folgt am Beginn der Ausstellung die Arbeit "Bombensicher Bundeskunsthalle Bonn. Die letzten Knöpfe sind gedrückt", eine bitter ironische Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Sicherheit im Zeitalter der Atombombe. In bläulich fahlem Licht schiebt sich von rechts das Flugzeug ins Bild, das im japanischen Hiroshima die erste Atombombe abwarf.

Je weiter man in die Ausstellung dringt, desto mehr offenbaren sich auch die ästhetischen Werte von Katharina Sieverdings Kunst. Ihre zwölf insgesamt neun Meter hohen "Kristallisationsbilder" von 1992 geben in riesiger Vergrößerung ein diagnostisches Verfahren der alternativen Medizin wieder, das auf- und abbauende Kräfte im Organismus spiegelt: Kristalle von großer Klarheit und Zartheit zugleich, bizarr auf dunklem Grund, Widerschein eines abgebrochenen Medizinstudiums.

Im hinteren Saal wirft Katharina Sieverding noch einmal ein Schlaglicht auf die Nachkriegs-Geschichte, mit ihrem Ehemann, dem Fotografie-Künstler Klaus Mettig. In der Projektion "China - America" von 1976 wechseln in rascher Folge Bilder von Reisen durch die USA, China und die Sowjetunion mit solchen aus der Kunstakademie Düsseldorf - Panorama einer experimentierfreudigen, zugleich politisch höchst angespannten Epoche. Dazu ertönt der Mitschnitt jenes Verhörs, in dem sich Bertolt Brecht 1947 in den USA vor dem "Komitee für unamerikanische Umstriebe" verteidigte. Mit knarzender Stimme versteckt er sich hinter einem absichtsvoll schlechten Englisch, um nicht zu viel von sich preiszugeben.

Die Ausstellung trägt den Untertitel "Kunst und Kapital". Das klingt nach Beuys und Marx, nach Gesellschaftskritik und klarer Kante. Doch Katharina Sieverding ist keine Ideologin. Sie zeigt in ihrer Kunst des fotografischen Gedächtnisses nur, was war und was ist und was das eine mit dem anderen zuweilen erschreckend verbindet.

(B.M.)
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