Mögliche Krebsgefahr Warum Experten über Glyphosat streiten

Düsseldorf · Rückstände des Unkrautvernichters Glyphosat lassen sich in vielen Biersorten finden, das ergab eine Studie. Darüber, ob das Pestizid gesundheitsschädlich ist, sind sich Experten uneinig. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Postion.

Glyphosat ist "wahrscheinlich krebserregend"
Foto: Fotokostic/ Shutterstock.com

"In welcher konkreten Menge Glyphosat schädlich ist, kann ich Ihnen nicht sagen", sagt Kate Guyton, Toxikologin beim Internationalen Institut für Krebsforschung (IARC) der WHO, "aber unsere Auswertungen haben ergeben, dass das Pestizid gentoxisch wirkt, also Veränderungen in den Chromosomen hervor ruft. Und das tut es in jedem Fall, man kann also sagen, dass von jeder beliebigen Menge Glyphosat eine Gefahr ausgeht."

Für den Konsumenten bedeutet dies, dass von Glyphosat-Rückständen in Lebensmitteln grundsätzlich immer eine Gefahr ausgehen kann. Ob und ab welcher Menge im Körper sie sich jedoch auch physisch ausprägt, ist unklar.

"Das IARC beschäftigt sich nicht mit Grenzwerten, sondern uns geht es darum herauszufinden, welche wissenschaftliche Beweise es gibt", sagt Guyton. Derzeit deutet eben diese Beweislage vor allem auf eines hin: Glyphosat ist "wahrscheinlich krebserregend". Damit bekommt es laut WHO die Risikostufe 2A.

Insgesamt gibt es fünf Kategorien, in die ein Stoff oder Gegenstand fallen kann, wenn er auf darauf geprüft wird, ob er Krebs auslösen kann: "krebserregend" (1), "wahrscheinlich krebserregend" (2A), "möglicherweise krebserregend" (2B), "nicht einzustufen" (3), "nicht krebserregend" (4).

In die Kategorie 2A fallen neben Glyphosat etwa auch zum Doping eingesetzte Steroide und rotes Fleisch. Verarbeitetes Fleisch wie Wurst wurde 2015 von der IARC sogar mit 1 eingestuft, also als "krebserregend".

Entgegen der kritischen Meinung der WHO, kommt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) immer wieder zu einer ganz anderen Einschätzung. "Das BfR kommt nach Prüfung aller bislang vorliegenden Studien, Dokumente und Veröffentlichungen einschließlich der Glyphosat-Monographie der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO (IARC) zu dem Ergebnis, dass nach derzeitiger wissenschaftlicher Kenntnis bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen zu erwarten ist", heißt es auf der Webseite.

Auch die Einschätzung der Bierstudie durch das Umweltinstitut München, laut der 14 getestete Biersorten mit Glyphosat belastet seien, fiel durch das BfR deutlich zurückhaltend aus. Bis zu 1000 Liter Hopfensaft am Tag müsse man demnach trinken, um durch Bierkonsum gesundheitsschädliche Grenzwerte zu erreichen.

Doch warum unterscheiden sich die Einschätzungen von BfR und IARC so? "Das BfR benutzt für seine Auswertungen die Studien der Glyphosat-Hersteller wie zum Beispiel Monsanto", erklärt Guyton. "Das IARC nutzt dagegen nur Studien, die der Öffentlichkeit zugänglich sind und bei denen der komplette Untersuchungsvorgang nachvollziehbar ist. Es darf nicht sein, dass an manchen Stellen nur Daten vorzufinden sind und nicht der Versuchsaufbau - wie es bei industriellen Studien häufig vorkommt." Aus diesem Grund hat die WHO einige Studien nicht einbezogen, die das BfR für seine Untersuchung nutzte.

Auch die Süddeutsche Zeitung hatte die Ergebnisse des BfR bereits Mitte 2015 stark angezweifelt. Grund dafür war eine Liste von 92 Studien, die das Institut für seine Beurteilung von Glyphosat genutzt hatte. Demnach wurden dabei auch 14 Leserbriefe an eine Fachzeitschrift als Studien gewertet, die von Wissenschaftlern stammten, die direkt oder indirekt für den Glyphosat-Hersteller Monsanto arbeiteten.

Fast noch ein größeres Problem als die Frage danach, ab welchem Grenzwert das Pestizid gesundheitsschädlich sein könnte, ist sein Vorkommen. Über 5000 Tonnen werden jährlich auf deutschen Äckern von dem Pestizid verspritzt. Das entspricht etwa 40 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche. In Hülsenfrüchten, Ölsaaten, Tee, Wein, Brot und diversen anderen Lebensmitteln wurde Glyphosat in der Folge bereits nachgewiesen, das ergaben Recherchen des WDR und von Ökotest.

"In Amerika gibt es Studien, die zeigen, dass Glyphosat im Regenwasser enthalten ist. Das zeigt, dass es auch in Flüssen vorkommt und im Trinkwasser", sagt die Toxikologin. "Die eigentliche Frage ist also: Wie können wir Glyphosat überhaupt noch vermeiden?"

Eine echte Lösung für das Glyphosat-Dilemma sieht auch die Expertin nicht. Hauptgrund dafür ist, dass trotz der intensiven Nutzung von Glyphosat nur unzureichendes Datenmaterial vorhanden ist. "Die meisten Studien an Menschen wurden mit Männern gemacht, die viel draußen arbeiten, oftmals auch auf Feldern, wo sie direkt besprüht wurden."

Für wissenschaftlich verlässliche Ergebnisse müsste aber auch untersucht werden, was Rückstände in Lebensmitteln und anderen Alltagsprodukten auslösen können - und dafür bräuchte es groß angelegte Langzeitstudien, von denen es nur wenige gibt.

Nächster Stopp innerhalb der EU in dieser Debatte ist der 7. März 2016. Dann wird die Europäische Lebensmittelbehörde (Efsa) das Pestizid erneut bewerten. Bekommt das Pestizid grünes Licht, wird es auch in den nächsten 15 Jahren auf europäischen - und damit auch deutschen - Äckern eingesetzt.

(ham)
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