Garzweiler Die Grube: Abrechnung mit Garzweiler II

Garzweiler · Von ihrem Schreibtisch aus kann sie alles sehen. Die Staatskanzlei im Düsseldorfer Stadttor. Den Landtag, wenn die Bäume im Winter die Sicht darauf freigeben. Alle Institutionen, die Ingrid Bachér so verachtet für diese eine Entscheidung, die Millionen Menschen den Boden unter den Füßen nahm: den Braunkohle-Tagebau Garzweiler II.

Die renommierte Düsseldorfer Autorin sitzt in ihrem Arbeitszimmer in einem modernen Düsseldorfer Neubau. Der Tapeziertisch mit dem Recherchematerial ist weggeräumt. Ihr Roman ist erschienen, ihre Abrechnung. Nichts mehr zu ändern. Gedanklich ist sie immer an der Grube. "Es geht mir immer noch durch und durch. Einfach grausaum", sagt die 81-jährige Urenkelin von Theodor Storm.

Jetzt hat sie ihre Wut in einen beeindruckenden Roman gepackt. "Die Grube" erzählt die Geschichte von Menschen im Dorf Garzweiler, die vor den Baggern umgesiedelt werden. In der Erinnerung einer Frau, die damals nicht nur den Hof in Garzweiler, sondern auch ihren Bruder verloren hat. Und die heute in Borschemich lebt.

Ein schauriger Heimatroman, der mit dem Tagebau abrechnet und die betroffenen Menschen umarmt. "Es ist eine Parabel, wie das Leben mit Gier immer weiter voranschreitet, ohne dass auf den Menschen geachtet wird." Die Landesregierung, die das abgenickt hat, kann sie von ihrem Schreibtisch sehen, und die Menschen in Garzweiler und Umgebung hat sie über Jahrzehnte immer wieder besucht.

Es war vor 25 Jahren, als sie einen Flyer in Garzweiler entdeckte. Das letzte Schützenfest. Schnell fand sie heraus, warum. Die Bagger standen vor der Tür. "Ein wunderschöner Ort war das. So gewachsen in seiner Struktur. Genau wie Otzenrath", er-innert sie sich. Sie besuchte das Schützenfest, sie besuchte Bürger-versammlungen, um die Atmosphäre aufzusaugen, sie erlebte, wie der Protest zusammenbrach, wie die Wirtschaft und Gewerkschaften Druck auf die Politik ausübten, um graben zu können.

Selbstmorde, Fortzüge, Ohnmacht, die Wut der Einwohner, denen die Lebensgrundlage entzogen wird: ihre Erde. Freundschaften entstanden. Sie lebte zwei Wochen in Holzweiler (Erkelenz), das 2040 abgebaggert werden soll. Sie hat nicht recherchiert, sie hat teilgenommen. Nur darüber schreiben, das schaffte sie in dem Vierteljahrhundert kaum. Immer wieder entstanden erste Fassungen, sie schmiss alle weg. Bis vor einem Jahr.

Im Herbst 2010 besucht sie Borschemich, das Erkelenzer Dorf, das als nächstes auf der Liste steht. "Und da habe ich erlebt: Hier ist alles wie vor 25 Jahren in Garzweiler. Nichts hat sich verändert. Da war die Wut so groß, dass ich den Roman in einem durchgeschrieben habe."

Ein beeindruckender Nachruf auf Garzweiler und alle anderen betroffenen Dörfer. Sie schreibt vom "geschlachteten Land", vom "Totentanz der Häuser", die Finalität der Zerstörung dessen, was nicht wieder zu bringen ist. Ingrid Bachér kann das so markerschütternd schildern. Sie war dabei.

(RP)
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