2,5-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen Darum wurde die Sperrklausel vom Verfassungsgericht gekippt

Düsseldorf · Der NRW-Verfassungsgerichtshof hat erneut eine 2,5-Prozent-Hürde für die Zweitstimmen bei Kommunalwahlen gekippt, weil sie nicht gut genug begründet wurde. Trotz der Schlappe am Dienstag könnte es aber noch zu einem dritten Anlauf kommen.

 Beteiligte der Verhandlung stehen im Verfassungsgericht in Münster.

Beteiligte der Verhandlung stehen im Verfassungsgericht in Münster.

Foto: dpa, frg gfh

Im Rat der Stadt Dortmund sind elf Parteien vertreten. Vier von ihnen haben jeweils nur einen Sitz. Gäbe es eine 2,5-Prozent-Sperrklausel, wären es nur fünf. Und zwar SPD, CDU, Grüne, Die Linke und die AfD.

Ähnlich wie in Dortmund ist die Situation inzwischen in vielen Kommunen Nordrhein-Westfalens. Sehr viele Parteien reden mit, wenn es um die Ampelanlage an der unfallträchtigen Kreuzung geht oder um die Schulrenovierung. Diskussionen ziehen sich in die Länge, die ehrenamtlichen Räte tagen häufig bis nach Mitternacht.

Das war die Ausgangslage, die 2016 die rot-grüne Landesregierung dazu bewog, mit Hilfe der CDU-Fraktion eine 2,5-Prozent-Sperrklausel in die NRW-Verfassung zu schreiben, die der Landtag mit großer Mehrheit verabschiedete. Damit sollten Parteien mindestens 2,5 Prozent der Zweitstimmen holen müssen, um in die Stadträte und Kreistage einziehen zu können. Ihr Hauptargument: Weil die frühere Fünf-Prozent-Sperrklausel weggefallen sei, litten die Kommunalvertretungen unter zunehmender Zersplitterung. Das beeinträchtige und gefährde ihre Handlungsfähigkeit. Von dem Wegfall von Sperrklauseln profitieren viele rechte Splitterparteien wie die NPD oder Pro NRW, aber etwa auch die Piraten.

Die SPD-Fraktion berief sich unter anderem auf ein Gutachten des Bochumer Politik- und Verwaltungswissenschaftlers Jörg Bogumil. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Zahl der in den Räten vertretenen Parteien tatsächlich stark gestiegen ist: Waren 1999 noch im Durchschnitt 4,6 Parteien in den Räten vertreten, waren es 2014 fast zwei Parteien mehr.

Doch der NRW-Verfassungsgerichtshof kippte am Dienstag die 2,5-Prozent-Sperrklausel. Sie verstoße gegen die Wahlrechtsgleichheit und sei damit verfassungswidrig, urteilten die Richter. Die Sperrklausel bewirke, dass nicht mehr jede Wählerstimme hinsichtlich ihres Erfolgswertes das gleiche Gewicht habe. Mit anderen Worten: Die Stimmen der kleineren Parteien fallen einfach unter den Tisch.

Die Wahlrechtsgleichheit ist der Entscheidung zufolge aber von so großer verfassungsrechtlicher Bedeutung, dass abweichende Regelungen eines besonderen, sachlich zu rechtfertigenden, "zwingenden" Grundes bedürften. Theoretisch, so die Münsteraner Richter, könnte ein solcher Grund darin bestehen, dass Stadt- und Gemeinderäte ohne Sperrklausel nicht mehr arbeitsfähig seien. Dann aber — und das ist entscheidend — muss der Gesetzgeber dies umfassend begründen.

Hier aber liegt der größte Schwachpunkt. Der Gesetzgeber hätte den Richtern zufolge viel genauer und nachvollziehbarer begründen müssen, dass eine Sperrklausel unerlässlich ist, um die Arbeitsfähigkeit der Räte in Zukunft zu sichern. Dass die Meinungsbildung erschwert ist, reichte den Richtern als Begründung nicht aus. Es werde zwar behauptet, dass die Abläufe durch die vielen kleinen Parteien gestört seien, "nicht aber in nachvollziehbarer Weise anhand konkreter empirischer Befunde belegt", teilte der Gerichtshof unmissverständlich mit. Mit anderen Worten: SPD, Grüne und CDU hätten statistisch nachweisen müssen, etwa dass wichtige Entscheidungen in den Räten wegen der kleinen Parteien jahrelang in der Schwebe bleiben.

Die Landtagsfraktionen hätten es besser wissen können. Denn schon einmal, nämlich 1999, hatte der NRW-Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die damals noch im Kommunalwahlgesetz geregelte Fünf-Prozent-Sperrklausel verfassungswidrig war. Und auch damals schon hatte der Gesetzgeber aus Sicht des Gerichts nicht hinreichend begründet, warum sie erforderlich sein sollte. Die Sperrklausel wurde daraufhin ersatzlos gestrichen.

Die Fraktionen von CDU, SPD und Grünen versicherten am Dienstag zwar, dass sie das Urteil respektierten. Sie machten aber zugleich deutlich, dass sie das Thema nicht für erledigt halten. "Ohne diese Hürde besteht Grund zur Sorge, dass es in Kommunalparlamenten fast schon institutionell zu einer naturgemäß unbeweglichen, die Ränder stärkenden 'Großen Koalition' kommt", sagte der Justiziar der CDU-Landtagsfraktion, Jörg Geerlings. Er sei der Auffassung, dass es eines probaten Mittels zur besseren Arbeitsfähigkeit und zur Stärkung der Räte und Kreistage bedürfe. "Die CDU-Landtagsfraktion will weiterhin eine Stärkung der Kommunalparlamente erreichen", so Geerlings.

Ähnlich äußerte sich der kommunalpolitische Sprecher der Grünen, Mehrdad Mostofizadeh: "Es ging uns nie allein um eine wie auch immer gestrickte Sperrklausel, sondern um eine Stärkung der kommunalen Demokratie insgesamt." Und SPD-Fraktionsvize Christian Dahm ergänzte: "Wir wollten nichts unversucht lassen, um die Funktionsfähigkeit unserer kommunalen Vertretungen weiterhin sicherzustellen." Die Verfassungsänderung sei aber damals bewusst so früh vor den nächsten Kommunalwahlen im Jahr 2020 verabschiedet worden, dass eine verfassungsrechtliche Klärung rechtzeitig möglich war.

Arbeitsunfähigkeit der Räte soll besser belegt werden

Zwar ist die Entscheidung der Münsteraner Richter abschließend. Der Verfassungsgerichtshof machte aber deutlich, dass die Sperrklausel doch noch eine Zukunft haben könnte. Voraussetzung sei, dass eine angeblich drohende Arbeitsunfähigkeit der Räte besser belegt werde: "Die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit kann nicht ein für allemal abstrakt beurteilt werden."

Die zuständige Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) zeigt sich für einen neuen Vorstoß offen. An statistischen Daten soll es jedenfalls beim nächsten Mal nicht scheitern: Empirische Ergebnisse könnten in Zusammenarbeit mit anderen Partnern — etwa den kommunalen Spitzenverbänden — zusammengestellt werden.

(kib)
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