Dormagen Das Anglerparadies am versunkenen Schiff

Dormagen · Mit dem alten Aalschokker an der Einmündung zum Silbersee ist eine tragische Geschichte über ein Familiendrama verbunden.

War es ein Racheakt? Ganz sicher ist sich selbst ein ausgewiesener Kenner der Dormagener Stadtgeschichte wie Hermann Kienle nicht. "Ich habe mal gehört, dass das Schiff bewusst angebohrt und so versenkt worden ist", erzählt der gebürtige Zonser, als er auf den alten Aalschokker angesprochen wird, der seit rund zwei Jahrzehnten an der Einmündung des Rheins zum Silbersee bei Stürzelberg auf Grund liegt. Verbürgt ist aber ein Familiendrama im Zusammenhang mit dem wohl 1906 erbauten Schokker, der bis in die 1990er Jahre zwischen Grimlinghausen und dem Silbersee seinen Dienst im Fischfang tat, ehe er unterging. Sein Eigentümer musste bald darauf wegen eines Tötungsdelikts ins Gefängnis; später tauchte er genauso ab wie sein Schiff.

 Der Rhein kurz vor der Stadtgrenze Dormagen/Neuss.

Der Rhein kurz vor der Stadtgrenze Dormagen/Neuss.

Foto: Stephan Kaluzza/ Rheinprojekt-Edition

2003 hatte es noch Überlegungen gegeben, den alten Kahn zu heben. Weil der Pegel des Rheins in jenem Jahrhundertsommer stark gesunken war, kam der Aalschokker mal wieder für eine Zeit lang an die Oberfläche. Es gab einen Ortstermin mit Politikern, Verwaltungsleuten, Kreisarchivar und Denkmalschützer, die das Wrack als erhaltenswert einstuften. Der damalige Landrat Dieter Patt, Karl Kress als Landtagsabgeordneter und Reinhard Hauschild, der seinerzeit Dormagens Bürgermeister war, loteten Möglichkeiten zur Bergung und zum Erhalt aus. Es wurde auch darüber diskutiert, wo der Schokker platziert werden sollte; angedacht waren das Gelände des Kreiskulturzentrums und der ehemalige Rheinarm vor dem Rheinturm in Zons. Letztendlich blieb das Schiff, wo es war. Die ungeklärte Übernahme der Bergungskosten und die nicht vorliegende Einverständniserklärung des verschwundenen Eigentümers ließen das Projekt platzen.

Durchblick: Auch am Dormagener Rheinufer gibt es viele idyllische Plätze - Schiffe gucken inklusive.

Durchblick: Auch am Dormagener Rheinufer gibt es viele idyllische Plätze - Schiffe gucken inklusive.

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 Winterstimmung: Dieses Bild entstand am Neujahrstag 2002.

Winterstimmung: Dieses Bild entstand am Neujahrstag 2002.

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Heute ist bei normalem Wasserstand nur noch der Mast des Aalschokkers sichtbar. Er wirkt wie ein überdimensionales Mikado-Stäbchen, die markante weiße Spitze zeigt drohend gen Himmel. Ein schmaler, mit Gras bewachsener Pfad führt von der B 9 hinunter zu der Stelle, die im Landschaftsschutzgebiet liegt. An trockenen, sonnigen Tagen wie vorgestern suchen Angler gerne den Liegeplatz des versunkenen Schiffes auf. Sie sitzen an beiden Ufern der Einmündung zum Silbersee, die durch das Wrack versperrt wird. Dort fließt das Wasser viel gemächlicher als wenige Meter entfernt auf dem Rhein, wo gerade wieder zwei große Lastkähne vorbeiziehen.

Industrieromantik: Kurz vor Sonnenuntergang entstand dieses Foto mit dem Dormagener Chempark im Hintergrund.

Industrieromantik: Kurz vor Sonnenuntergang entstand dieses Foto mit dem Dormagener Chempark im Hintergrund.

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Waldemar Bartnicki hat zwei Angelruten dabei, eine hat er gerade ausgeworfen. "Hier gibt es Barsche, Rotaugen, Welse und auch Aale", erzählt er, "die Aale beißen im Mai am besten an. In diesem Jahr habe ich in dem einen Monat 30 Stück aus dem Rhein gezogen." Doch leider ist zurzeit September, da klappt das nicht so gut. "Heute habe ich noch gar nichts gefangen, gestern nur ein Rotauge. Und das war so klein, das habe ich wieder in den Fluss zurückgeworfen", berichtet der Angler und blickt über die kleine Bucht. Gegenüber wird ebenfalls gefischt, ein Angler steht am Ufer, ein anderer hofft von einem Klappstuhl aus auf Beute.

Der Ort wirkt wie eine Insel zwischen den großen Verkehrswegen, die sich an der Stadtgrenze von Dormagen und Neuss recht nahe kommen: Der Abstand zwischen der B 9 und dem Rhein ist in diesem Bereich sehr gering, beträgt vielleicht gerade mal einen Steinwurf. Das Zirpen der Grillen lässt das Brausen der vorbeirauschenden Autos und Lastwagen in den Hintergrund treten, ebenso die Geräusche der Motoren passierender Schiffe. In der schönen Jahreszeit ist der Platz eine Idylle. Doch wenn im Herbst die Nebel wabern und die Bäume ihre Blätter verlieren oder wenn im Winter und im frühen Frühjahr wieder mal ein Hochwasser droht, dann weicht die Beschaulichkeit schnell der Tristesse und Düsternis. Aber beides passt ja ganz gut zu der tragischen Geschichte um den versunkenen Aalschokker.

(NGZ)
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