Roland Schüßler 70 Millionen Euro für Weiterbildungen

Düsseldorf · Der neue Chef der Düsseldorfer Agentur für Arbeit spricht über die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote in der Stadt, die Schwierigkeiten der Existenzgründer und sein erstes Zusammentreffen mit Oberbürgermeister Thomas Geisel.

Herr Schüßler, nach vielen Stationen bei der Bundesagentur für Arbeit sind Sie jetzt der Chef der Behörde in Düsseldorf. Was sind die Besonderheiten auf dem Arbeitsmarkt dieser Stadt?

Schüßler Düsseldorf hat eine der höchsten Arbeitsplatzdichte bundesweit und einen besseren Branchenmix als die allermeisten anderen Großstädte. Es gibt in der NRW-Landeshauptstadt Industrie, Medien, IT, Dienstleister, es gibt also eine Risikostreuung auf dem Arbeitsmarkt.

Was wird die größte Herausforderung der kommenden Jahre?

Schüßler Wir haben die höchste Beschäftigung in der Geschichte Düsseldorfs. 378 000 Menschen sind hier sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Was den Ausbildungsmarkt angeht: Wir sind die einzige Stadt weit und breit mit mehr Lehrstellen als Bewerbern. Gleichzeitig aber schlägt der demografische Wandel zu. In den nächsten zehn Jahren werden 60 000 oder 15 Prozent dieser Arbeitnehmer älter als 65 Jahre sein. Und die Zahl der aus der Schule Entlassenen in der Region geht dramatisch nach unten. Es fehlen Fachkräfte, und es wird schlimmer.

Aber dennoch gibt es noch ein Heer von Arbeitslosen. Mit einer Arbeitslosenquote von 8,3 Prozent liegt Düsseldorf weit über dem Bundesdurchschnitt. Wie erklären Sie uns das?

Schüßler Die Arbeitslosen und die offenen Stellen in der Stadt passen oft nicht zusammen. Von den Arbeitslosen in Düsseldorf sind 44 Prozent ungelernt. Aber die Zahl der offenen Stellen für Menschen ohne Berufsabschluss liegt bei weniger als zehn Prozent aller gemeldeten Stellen. Im Umkehrschluss sind mehr als zwei Drittel der offenen Stellen für Fachkräfte ausgeschrieben. Als Fachkraft, also als Mensch mit einer qualifizierten Berufsausbildung, gilt aber nur fast jeder dritte Arbeitssuchende. Oftmals ist aufgrund der mangelnden Qualifikation dann die Langzeitarbeitslosigkeit programmiert.

Wie wollen Sie dieses Dilemma lösen?

Schüßler Qualifizierung ist die schnellste Antwort. Jobcenter und Arbeitsagentur Düsseldorf stellen im laufenden Jahr zusammen 70 Millionen Euro zur Verfügung, um Arbeits- und Ausbildungsplatzsuchende zu fördern. Es soll nicht am Geld scheitern, Leute in eine Qualifizierung zu bringen.

Was tun Sie prophylaktisch?

Schüßler Wir sind dazu übergegangen, bereits in der achten Klasse, also zwei Jahre vor dem Abschluss, in die Schulen zu gehen und eine Berufsorientierung zu geben. Information und Beratung ist der erste und einfachste Weg. Und wenn dann die jungen Menschen mit einer Ausbildung starten, ist das Risiko deutlich geringer, später arbeitslos zu werden, als wenn man keinen Berufsabschluss hat. So lässt sich auch der Zugang in die Langzeitarbeitslosigkeit stoppen.

Sie sind neu in der Stadt. Wen wollen Sie als erstes sprechen?

Schüßler Mein erster Besuch, quasi der Antrittsbesuch, galt Oberbürgermeister Thomas Geisel. Ich habe ihn bei einer Veranstaltung zum Thema Existenzgründer getroffen. Ein Thema, dass uns beiden sehr wichtig ist.

Sie und Oberbürgermeister Geisel wollen die Zahl der Existenzgründer in Düsseldorf steigern. Wie kann das gelingen?

Schüßler Das Problem ist der deutsche Förderdschungel. Kein Laie kann allen Ernstes die ganze Fülle der Fördermöglichkeiten überschauen. Daher brauchen diese Menschen eine Art Fördertarzan, der ihnen einen Weg durch den Förderdschungel weist.

Der Zugang zum klassischen Gründungszuschuss ist erst vor wenigen Jahren erschwert worden. Wie entwickeln sich die Zahlen?

Schüßler Früher bekam ihn jeder Antragsteller. Heute wird genauer geprüft. Das hat die Zahlen vor drei Jahren in den Keller sacken lassen. Jetzt aber erholt sich das Ganze. Vergangenes Jahr gab es 257 Bewilligungen, 57 mehr als 2013.

Das Thema Mindestlohn spaltet Unternehmer und Gewerkschaften in Stadt und Land. Die einen fürchten einen massiven Jobverlust, die anderen dementieren. Wie sehen Sie das als Arbeitsmarktexperte?

Schüßler Es gibt Prognosen darüber, dass bundesweit zwischen null und 900 000 Jobs verloren gehen könnten. Noch ist es viel zu früh, das zu beurteilen. Die Zahl der Arbeitssuchenden ist zwar im Januar in Düsseldorf um 0,7 Prozent gestiegen. Das sind aber die üblichen saisonalen Schwankungen. Das hat nichts mit dem seit dem 1. Januar dieses Jahres geltenden Mindestlohn zu tun.

Was würden Sie als das Hauptziel Ihrer Amtszeit bezeichnen?

Schüßler Da würde ich gerne drei Ziele nennen. Ich möchte gemeinsam mit der Stadtverwaltung, den Gewerkschaften, den Kammern und der Unternehmerschaft die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen reduzieren. Es ist ein ambitioniertes Ziel, aber wenn die Arbeitslosenquote für junge Menschen unter sechs Prozent sinkt, dann hätten wir wirklich etwas erreicht. Zum Zweiten müssen wir uns den Langzeitarbeitslosen widmen. Und drittens müssen wir weiteres Potenzial wie die stille Reserve heben. Jene qualifizierten Menschen, die dem Arbeitsmarkt aus verschiedensten Gründen derzeit nicht zur Verfügung stehen. Wie groß diese Reserve ist, das weiß ja keiner. Aber viele Menschen, die etwa wegen der Kinder nicht arbeiten, könnten in naher Zukunft etwa einen Teilzeitjob annehmen. Wir brauchen also die Unterstützung von allen Akteuren auf dem Arbeitsmarkt. Nur gemeinsam lässt sich die Arbeitslosigkeit bekämpfen.

Brauchen wir in Düsseldorf mehr Zuwanderung, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen?

Schüßler Beim Thema Fachkräftemangel ist die gesellschaftliche Integration von Menschen mit ausländischen Wurzeln ein Hebel. So sollte die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse vereinfacht werden. Aber man darf dieses Potenzial quantitativ für den Arbeitsmarkt auch nicht überschätzen. Es gibt nicht 1000 Taxifahrer in Düsseldorf, die alle Ärzte sind, wie manche immer wieder suggerieren. Wir benötigen daher eine gelebte Willkommenskultur, um die Fachkenntnisse von Asylsuchenden und Flüchtlingen zu heben.

THORSTEN BREITKOPF FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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