Düsseldorfer Geschichten Als Düsseldorf eine Hochburg der Radler war

Düsseldorf · Nach 1900 war Düsseldorf eine Hochburg des Radsports: mit vielen Vereinen, Wettkämpfen und der schönsten Rennstrecke in Deutschland. Ein Blick in die Stadtgeschichte.

Historische Fotos von Radsport und Fahradfahren in Düsseldorf
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Bilder aus der Frühzeit des Düsseldorfer Radsports

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Foto: Archiv C.-T. Schmidt/Archiv Brzosa

Wann der erste Radfahrer durch Düsseldorf strampelte, liegt im Dunklen der Geschichte. Ob zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Exemplar des legendären Laufrades (Spottname: "Knochenschüttler") aus der Werkstatt des Freiherrn Karl von Drais seinen Weg bis nach Düsseldorf fand und hier über die Straßen der heutigen Altstadt rumpelte, ist nicht bekannt.

Fast ein halbes Jahrhundert später entwickelten französische Mechaniker die noch unausgereifte Laufmaschine zum Fahrrad weiter. Zu Beginn der 1860er Jahre rüsteten Pierre Michaux und Pierre Lallement ihre Zweiräder mit am Vorderrad starr befestigten Tretkurbeln aus. Das Velociped - wörtlich: der Schnellfuß - war erfunden.

Die ersten Fahrradfahrer kamen in die Zeitung

Obwohl das Pedalieren schräg nach vorne nur bedingt Fahrspaß bereitete, wurde das Velocipedfahren schnell zur Modeerscheinung in Paris, London, New York - und eben in Düsseldorf. Hier wie dort wurde es anfangs bewundert, aber auch verspöttelt. Am 13. April 1869 meldete der "Düsseldorfer Anzeiger", dass gestern "in einem hiesigen Gasthofe ein Passagier auf einem Velociped" eintraf, "der den Weg von Barmen hierhin auf der neuen Fahrmaschine in 1,5 Stunden zurückgelegt hatte, also in derselben Zeit, in welcher die Eisenbahn denselben Weg zurücklegt".

Am folgenden Tag rückte der Anzeiger die vermeintliche Sensation in ein anderes Licht: "Was den im gestrigen Blatte erwähnten Velociped-Passagier zwischen Barmen und hier betrifft, so haben nähere Ermittelungen dargethan, daß derselbe die Tour ... in der angegebenen Zeit wirklich abgemacht und dabei das in Rede stehende Velociped wirklich für sich im Coupe der Eisenbahn als Passagiergut mitgeführt hat, daß er auch bei der Ankunft in Düsseldorf vom Bahnhof bis zu dem Gasthofe, in welchem er eingekehrt ist, sich dieses Velocipedes bedinet hat". Trotz Spott und Hohn: Ende der 1860er Jahre war auch in Düsseldorf das Fahrrad als trendiges Freizeitgerät angekommen.

In Fahrradvereinen wurde trainiert und um die Wette gefahren

Nach Einführung von trapezförmigen Rahmen, Kettenantrieb, Freilaufnabe, Blattfederung, Metallfelgen und Luftbereifung war der Siegeszug des Fahrrades auch in Düsseldorf nicht mehr zu stoppen. Um 1900 gab es rund ein Dutzend Radfahrervereine. Sie nannten sich Vorwärts, Velocia 1904, Verein Düsseldorfer Tourenfahrer Merkur, Flottweg 1891, Blitz Düsseldorf 1898 und Konsulat Düsseldorf der Allgemeinen Radfahrer Union.

Die Vereine verfolgten sportliche wie auch gesellige Ziele und deckten die ganze Palette des Radfahrens ab: kunstvolles Saalfahren in der Tonhalle, Radballkämpfe, Tourenfahrten in Düsseldorf und die nähere Umgebung, sportliche Trainingsfahrten für Wettkämpfe.

Handel und Produktion von Fahrrädern in Düsseldorf

Mit der wachsenden Begeisterung für das Velociped nahmen in Düsseldorf immer mehr Händler das Fahrrad in ihr Verkaufssortiment auf; allen voran Nähmaschinenhandlungen. Die ersten allein auf den Fahrradverkauf spezialisierten Geschäfte gab es an der Ost-, der Graf-Adolf-, der Bismarck und der Karlstraße. Sie boten Räder von Triumph, Adler, Singer, Mars, Dürkopp und Opel an und hatten eigene "Fahrhallen", in denen die Kunden das Radfahren lernen konnten. Oskar Schönwasser etwa hob in den Inseraten für seine Velociped-Handlung hervor, im alten Bahnhof an der Graf-Adolf-Straße die "größte und meistfrequentierte Fahrbahn am Platze" zu unterhalten und "Unterricht zu jeder Tageszeit" anzubieten.

Schon früh wurden in Düsseldorf Fahrräder hergestellt. 1920 erhielt das Stadtmuseum von Gustav Windscheid ein Fahrrad geschenkt, das 1868 in der Maschinenfabrik seiner Familie gefertigt worden war. Ob es sich um ein Einzelstück handelte oder Windscheid bereits Räder gewerbsmäßig produzierte, ist nicht mehr bekannt. Sicher ist, dass Hubert Josef Hilbert um 1890 in der Kreuzstraße die "Düsseldorfer Velocipedfabrik" gründete und mehrere Verkaufsstellen in der Stadt betrieb.

Düsseldorf war stolz auf seine Radrennbahn

Mit Beginn der Massenproduktion wurde das Fahrrad auch als Sportgerät entdeckt. Das Publikumsinteresse am Radsport war so groß, dass in kurzer Zeit überall in Deutschland eigene Bahnen und Pisten für Wettkämpfe angelegt wurden. 1907 kam Düsseldorf hinzu.

Mit dem großen Eröffnungsrennen nahm am Pfingstsonntag die "Düsseldorfer Rad-Motor-Rennbahn" am Niederkasseler Lohweg ihren Betrieb auf. Mit großer Begeisterung stellte das Düsseldorfer Volksblatt am 15. Mai 1907 die Vorzüge "der wohl schönsten Radrennbahn in ganz Deutschland" vor: 400 Meter lang, am Ziel neun Meter breit, 43 Grad Kurvenerhöhung, "sodaß Geschwindigkeiten bis zu 110 Kilometer pro Stunde erzielt werden können".

Auf der Südseite ragte die "schattige Tribüne" empor, die 2000 Personen Platz bot und "in Logen, nummerierte und einfache Sitzplätze" unterteilt war. Die Stehplätze zogen sich rund um die Bahn und waren für 12.000 Besucher berechnet. Die Kabinen für die Fahrer befanden sich "in großer Zahl recht zweckmäßig unter der Tribüne". Auf dem Freiraum in der Mitte der Zementbahn, "der auch für Fußwettspiele" geeignet war, befand sich ein Musikpavillon.

Für das leibliche Wohl der Gäste sorgt "eine am Eingang errichtete Restauration mit Sitzgelegenheiten in den Anlagen". Die Kosten der Bahn, "die ohne Zweifel eine große Anziehungskraft auf unser zahlreiches sportliebendes Publikum ausüben wird", betrugen 155.000 Mark. Der erste Renntag mit einem großen Flieger- und Motorrennen und Dauerfahren über 10, 15 und 30 Kilometer verlief übrigens "glatt und ohne Unfall". Die ausgesetzten Preisgelder in Höhe von 600, 450 und 300 Mark erhielten die Steherfahrer Willy Pongs, August Braun und Alfred Böhmer noch auf dem Siegerpodest "in bar" ausgezahlt.

Radrennen als Großevents - eine Düsseldorfer Tradition

Mit der Oberkasseler Radrennbahn entstand in Düsseldorf für die damaligen Verhältnisse eine glamouröse Radsportszene. Radfahren avancierte in der Stadt zum Sport Nummer eins. Regelmäßig berichteten die Düsseldorfer Zeitungen über die Großveranstaltungen, die draufgängerischen Bahnradfahrer, neue Entwicklungen, Rennergebnisse und Hintergründe. Nach dem Vorbild der Pferdesportveranstaltungen wurden Frühjahrs-, Sommer- und Herbsttreffen abgehalten.

Neben Turnsportfesten und Pferderennen wurden die Wettkämpfe auf der Radrennbahn zu traditionellen sportlichen Großereignissen in Düsseldorf. Regelmäßig wurden hier nationale und internationale Meisterschaften für Steher, Flieger und Tandemfahrer ausgefahren: Großer Preis von Düsseldorf, Großer Westdeutscher Steherpreis, Großer Preis vom Rhein, Goldenes Rad, Großer Peis von Europa, Heinrich-Heine-Preis, Großer Preis von Deutschland, Westdeutsches Derby und so weiter.

Zeitgleich mit den Olympischen Spielen in London fanden am 17. Mai 1908 auf der Radrennbahn die "Großen Olympischen Spiele von Düsseldorf" statt. Im Mittelpunkt standen Wettkämpfe der "Leicht- und Schwerathletik": Gewichtheben, Steinstoßen, Fußballweitstoß, Laufwettbewerbe, Diskuswerfen, 50 Kilometer Wettmarsch, Stafettenlauf, Tauziehen, Fußballspiele und Radrennen.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges musste der Betrieb auf der Radrennbahn eingestellt werden. Die Wiederaufnahme des Rennbetriebes in Oberkassel stand unter keinem guten Stern. Am 6. Oktober 1918 stürzte der Kölner Radprofi Peter Günther bei einem Steherrennen und starb einen Tag später an seinen schweren Kopfverletzungen.

Auch vermochten die Veranstalter nicht mehr an die Erfolge der Kaiserzeit anzuknüpfen. Längst hatten andere Sportarten dem Radsport den Rang abgelaufen. Der sportinteressierte Düsseldorfer ging zum Flinger Broich, ins Rheinstadion, zum Rochusclub oder zur Galopprennbahn. Auch im Radsport selbst hatten sich die Vorlieben geändert. Nicht mehr das Bahnfahren im Freien, sondern die Sechstagerennen in Hallen und die großen Distanzfahrten in Deutschland und Europa, allen voran die Tour de France, begeisterten die Massen. Mitte der 1930er Jahre meldete die "Düsseldorfer Sport und Radrennbahn GmbH" als Betreiber Konkurs an. Die Rennbahn und die Tribünen wurden im Februar 1937 niedergelegt. Das Gelände mit der ovalen Erhebung am heutigen Kirschbaumwäldchen verwilderte. In den 1950er Jahren überließ die Stadt die ehemalige Kampfbahn den Sportfreunden Lörick als Trainings- und Übungsplatz - bis das gesamte Areal in den 1980er Jahren mit Wohnhäusern überbaut wurde.

Nichts erinnert heute mehr daran, dass Düsseldorf vor 100 Jahren eine radsportbegeisterte Stadt war. Man darf gespannt sein, ob der Grand Départ 2017 die einstige Begeisterung für einen Augenblick wieder erweckt und wie lange sie diesmal nachwirkt.

Der Autor Historiker Ulrich Brzosa beschäftigt sich vorrangig mit Themen der Düsseldorfer Stadtgeschichte. Er ist Autor des 1200 Seiten starken Werkes zur Düsseldorfer Caritasgeschichte und verschiedener Bücher über seinen Heimatstadtteil Eller.

(RP)
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