Düsseldorf Denken, träumen und gegenwärtig sein!

Düsseldorf · Die Heinrich-Heine-Gesellschaft verlieh ihre Ehrengabe an Roger Willemsen.

Schon auf den ersten Blick gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Heinrich Heine, dem Patron der Ehrengabe, und dem Geehrten Roger Willemsen. Beide sind Rheinländer, der eine geboren in Düsseldorf, der andere in Bonn. Beide sind dort aufgewachsen, wo der Fluss groß und mächtig ist, auf dem Weg zum Meer, ins Offene, in die Weite - da blitzte sie dann auch schon auf, die tiefergehende Nähe: das Aufklärerische, der Hang zur Freiheit. Dazu kommt die Bedeutung, die Sprache für sie hat.

Die Nähe der beiden zueinander war der erwartbare rote Faden bei den Reden im Savoy-Theater, die den Geehrten und mit ihm Heinrich Heine feierten. Erwartbar war auch der Rahmen: Es war eine launige, entspannte Veranstaltung, festlich, würdevoll und sommerlich-leicht durch die Musik der kubanischen Jazz-Pianistin Marialy Pacheco.

Nicht unbedingt erwartbar war dagegen die Replik des Geehrten, die einen anderen, einen sehr ernsten Ton anschlug. Es war keine schlichte Dankesrede und auch keine Hymne auf Heinrich Heine. Roger Willemsen trug vielmehr einen Essay vor, eine Kritik an unserer Gegenwart, rhetorisch brillant, anspruchsvoll und sehr engagiert. "Ich will mir die Ehrengabe mit meiner Rede erst noch verdienen", sagte er - und löste diesen Anspruch ein.

Er näherte sich unserer Zeit durch den Vorausblick: Er fragte, wie zukünftige Generationen uns sehen werden, und da kam ihm nichts Positives in den Sinn. Noch nie waren die Konsequenzen menschlichen Handenls so global und dramatisch wie heute, betonte er. Noch nie waren Bilder des Unheils und Grauens so präsent wie in unserem Medienzeitalter. Aber wir sehen weg, meinte er, wollen nicht wissen, nicht belästigt werden, reiben uns lieber auf in anstrengenden Arbeits- und Freizeit-, zerstreuen uns in digitalen Parallelwelten. Nehmen die Realität einfach hin, wie sie ist, statt wirklich zu sehen, zu denken, zu träumen und Gegenentwürfe zu entwickeln. Statt wirklich gegenwärtig zu sein.

"Der in allen Medien seit langem präsente Schriftsteller scheut weder Grenzen noch Themen. Er weiß Probleme ebenso stilsicher wie beredt auf den Punkt zu bringen und dabei Poesie und Politik miteinander zu verbinden", so begründete die Jury die Verleihung der Ehrengabe an Roger Willemsen - und zeigte damit, dass seine kritische Rede doch nicht ganz überraschend kam. In welchem Kontext sie steht, erklärte Professor Joseph Kruse für die Heinrich-Heine-Gesellschaft: Seit 50 Jahren verleiht sie ihre Ehrengabe. Der erste Preisträger war 1965 Max Brod, Heine-Biograph und Freund Franz Kafkas. Ihm folgten unter anderem Hilde Domin, Marcel Reich-Ranicki, Dieter Forte und Herta Müller.

Schließlich reihte sich auch ein Kölner in den Reigen der Rheinländer ein, die auf der Bühne standen: Robert Koall, Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden. Er war der Laudator und konzentrierte sich in seiner Rede vor allem auf drei Werke Willemsens. Auf den "Knacks", in dem er über Krisen, Verletzungen, Umbrüche des Lebens nachdenkt. Zudem "Enden der Welt", Willemsens Reisebilder. Und "Momentum", ein Buch, das sich aus vielen Augenblicken zusammensetzt. Der Schriftsteller hat die Welt im Blick wie das Ich, darum ging es Koall: Er schaut hin, und er denkt nach.

Die Verleihung der Ehrengabe an Roger Willemsen war eine denkwürdige Veranstaltung: erinnernswert und voller Anregungen. Heinrich Heine hätte sie, so ist zu vermuten, reichlich Gesprächs- und Denkstoff geboten.

(RP)
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