Düsseldorf Calders poetische Kunst in Düsseldorf

Düsseldorf · Die Kunstsammlung NRW zeigt bewegliche und unbewegliche Werke des großen Amerikaners Alexander Calder (1898–1976). Arbeiten von Mondrian, Miró und Arp betten das Werk des Bildhauers in den Kontext der Avantgarde.

Die Kunstsammlung NRW zeigt bewegliche und unbewegliche Werke des großen Amerikaners Alexander Calder (1898—1976). Arbeiten von Mondrian, Miró und Arp betten das Werk des Bildhauers in den Kontext der Avantgarde.

Ein Mobile weckt unweigerlich Erinnerungen an die Kindheit. Wohl jeder hat solch ein von der Decke hängendes, farbige Formen im Gleichgewicht haltendes Gebilde schon einmal gebastelt und versonnen zugeschaut, wie bereits ein leichter Luftzug das Kunstwerk ins Schaukeln bringt und wie es sich bald wieder beruhigt. Ein Mobile ist zu nichts nütze als dazu, dass es die Sinne erfreut.

Das Mobile als Zierde ist erheblich bekannter als sein Ursprung. Es leitet sich aus der Avantgarde des 20. Jahrhunderts ab: Der Franzose Marcel Duchamp hatte den Begriff 1913 für sein erstes Ready-made verwendet, das "Fahrrad-Rad", und der Amerikaner Alexander Calder vollendete das Mobile zu dem, was wir heute darunter verstehen.

An Calder erinnert eine zauberhafte Ausstellung, zu der von morgen an die Düsseldorfer Kunstsammlung NRW einlädt. Im Grabbe- und im Klee-Saal treiben Mobiles ihr leichtes Spiel mit der Schwerkraft. Alles schwebt, überall gleichen die Leichtgewichte einander schaukelnd aus und legen Zeugnis davon ab, wie die Kunst sich neue Möglichkeiten eröffnete, indem sie plastische Objekte in ständigen Wandel versetzte.

Im Klee-Saal kann man verfolgen, wie Calder im Pariser Atelier des damals politisch noch nicht belasteten Bildhauers Arno Breker sein erstes bewegliches Spielzeug herstellte, wie er Drahtkonstruktionen schuf, die sich mit einer Kurbel in Gang setzen ließen. Da Calder sich 1930 für drei Jahre fest in Paris niederließ und dort Piet Mondrian und Fernand Léger kennenlernte, verwundert es nicht, dass die Ausstellung auch Bilder von Mondrian aufgenommen hat. Schließlich verdanken sich Calders erste Mobiles der Begegnung mit dem Niederländer.

Auch die Freundschaft mit den Komponisten Edgar Varèse und John Cage hat Spuren hinterlassen. Davon zeugen mehrere Klang-Skulpturen, besonders deren erste, "Small Sphere and Heavy Sphere" von 1932/1933, eine Leihgabe der Calder-Stiftung in New York.

Von einem Laufsteg, der sich längs durch den Klee-Saal zieht, kann man das stille Spektakel der beweglichen Kunst von oben betrachten: das majestätische Nicken der Farbsegel-Konstruktionen, die mit jeder Drehung eine neue Figur erzeugen. Vorzugsweise in Rot, Schwarz und Gelb färbt Calder seine Leichtgewichte ein — nicht um ein Farbballett aufzuführen, sondern allein um der Unterscheidbarkeit der tanzenden Teile willen.

Nachdem Calder 1933 nach Connecticut übergesiedelt war, schuf er erstmals ein Mobile für den Außenraum und bald auch Großskulpturen. Den Mobiles folgten Stabiles. Auch dieses Genre ist in der Düsseldorfer Schau belegt, vor allem durch den "Ameisenbär" von 1963. Der steht normalerweise im Park des Rotterdamer Stadtteils Hoogvliet und wurde speziell für die Schau in den hohen Grabbe-Saal verfrachtet: ein stilisiertes Tier aus Stahl, 3,20 Meter hoch, sechs Meter lang und 2,90 Meter breit; eine Skulptur, die selbst in ihrem Stillstand Dynamik entfaltet. Dieses größte Kunstwerk der Ausstellung befindet sich zeitlich bereits außerhalb des Kerns: Der Schwerpunkt liegt auf den 30er und 40er Jahren.

Calders Lebenswerk mag wie Kunst um der Kunst willen wirken, doch so gesellschaftsfern, wie es scheint, ist es nicht. Für den spanischen Pavillon der Weltausstellung 1937 in Paris, in dem unter anderem Picassos weltbekanntes Gemälde "Guernica" hing, baute Calder einen Quecksilber-Springbrunnen zum Gedenken an die Todesopfer des Quecksilber-Abbaus.

Von solchen unmittelbaren Wirklichkeitsbezügen abgesehen schwebt Calders Kunst tatsächlich im Überzeitlichen. In den Mobiles veranschaulicht sich durch die ständige Bewegung das Verrinnen der Zeit. Und das Spiel mit der Erdanziehung lässt sich deuten als der Versuch, die Schwerkraft zu überwinden, Balance und Ausgleich herzustellen in der Freiheit der Lüfte. Die Mobiles verkörpern ein Stück utopischen Denkens und Empfindens im frühen 20. Jahrhundert. Die abstrakt-figürlichen Stabiles der Nachkriegszeit dagegen versuchen, sich nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs noch einmal aufzuschwingen in eine bessere Welt — so jedenfalls kann man sie verstehen.

Eines der bezauberndsten Stücke der Schau geht am Rande des Grabbe-Saals fast unter: "Fake Snake" von 1944, eine bronzene Schlange, halb Mobile, halb Stabile, deren Kopf punktförmig auf einem an der Wand angebrachten Brett ruht, während sich der rückwärtige Teil des Körpers zunächst nach unten windet und sich dann schwungvoll in die Höhe reckt. Auch hier schlägt Calder der Schwerkraft ein Schnippchen und verbildlicht den Traum des Menschen, sich aufzuschwingen in die Sphäre dessen, was er noch nicht kennt.

(RP)
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