Düsseldorfer Wahlkreis 106 Der SPD-Kandidat auf Spurensuche

Flingern · Im ehemaligen Arbeiterviertel Flingern trifft Philipp Tacer auf Gentrifizierung. Blöd nur, dass ihm das irgendwie gefällt.

 Philipp Tacer während der Wahlkampf-Veranstaltung in Flingern.

Philipp Tacer während der Wahlkampf-Veranstaltung in Flingern.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Auf dem Hermannplatz ist Parknotstand. Besonders vor dem Sandkasten stehen sie dicht an dicht, sehr viele Wagen der Luxus- und oberen Mittelklasse. Die Fahrerinnen der Kinderwagen wirken wirklich nicht mehr jung, aber sie tragen Turnschuhe und Pferdeschwanz und sind bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen, wie nervend sie den Türkenjungen finden, der mit Sand schmeißt.

Ein herumstreunender Behinderter, der eigentlich immer dort ist, erkundigt sich, wer denn all diese Leute sind, die sich hier versammelt haben, und fragt nach Namen. Er gehört zu Flingern, dem ehemaligen Arbeiterviertels, das sich vom Hipster-Zentrum von Düsseldorf gerade zum bevorzugten Wohnviertel des sogenannten neuen Bürgertums wandelt.

Einen Ortsverein der SPD gibt es natürlich trotzdem noch, und der hat an diesem Tag den Bundestagskandidaten Philipp Tacer eingeladen, um mit ihm und möglicherweise auch Wählern einen Spaziergang zu machen. Es soll folkloristisch werden, auf die Spuren des Arbeiterviertels will man sich machen, eine Führerin steht bereit, viele sind gekommen, eine Frau erkundigt sich, wo denn die nächsten Stationen seien und ob sie mit dem Fahrrad vorfahren könne, weil zu Fuß, naja — sie zeigt auf ihr geschientes Bein. Ach ja, ist ja Wahlkampf.

Tacer stellt sich also vor, zunächst klärt er, wie man seinen Namen ausspricht, nämlich französisch. Weil im Laufe der Jahrhunderte dem hugenottischen Nachnamen ein i abhanden gekommen ist, könne man das nicht wissen, entschuldigt er sich, was gut ankommt bei den Spaziergängern. Nun aber los, die Zeit drängt, obwohl die meisten der Wähler den Eindruck machen, als hätten sie genug Zeit. Es ist eine Erfahrung, die Wahlkämpfer immer machen: Zu Veranstaltungen kommen in der Mehrzahl Rentner, andere Wähler muss man besuchen, wo sie sind.

Ein Vertreter des neuen Flingerns ist nicht gekommen, eigentlich ist Tacer der einzige Vertreter dieser Gruppe. Und so wirkt es ein wenig bizarr, wenn er im Gespräch auf der einen Seite hohe Mieten und Gentrifizierung von Stadtteilen beklagt, verächtliche Blicke auf einen Luxus-Neubau wirft, gleichzeitig aber bekräftigt, wie sehr er dieses neue Flingern mag und dass es ihn an den Prenzlauer Berg in Berlin erinnere.

Die Gruppe läuft über den Gehweg, bleibt hier stehen, dort stehen, vorbei an Straßencafés, wo Menschen sich gegenüber sitzen und auf I-Phones starren. Ein Mensch wie Tacer, mit seiner schwarzer Designerbrille, würde sich rein optisch gut zu ihnen setzen können. Doch er spaziert weiter mit den Genossen, die gebannt den Ausführungen der Führerin lauschen — Neues von gestern erzählend.

Die SPD hat in diesem Jahr das 150. Jahr ihres Bestehens gefeiert. Die Arbeiterpartei, die Partei der kleinen Leute. Beobachtet man die Menschen im ehemaligen Arbeiterviertel Flingern, sehen die nicht danach aus, als zählten sie sich selbst zu den kleinen Leuten. Das neue Bürgertum hat studiert, hat gute Jobs, kauft geschmackvolle Möbel und ist irgendwie schon auch links. Wie, versucht vor allen Dingen die SPD herauszufinden. Tacer ist in dem Dilemma, den Wandel und die Wandler in den Stadtteilen politisch verachten zu müssen, aber nicht das Ergebnis ihres Wandels; Viertel, in denen fast nur noch Wohlhabende ziehen können, abzulehnen und gleichzeitig es toll zu finden, dass kleine Läden entstehen, die Sachen verkaufen, die eben nur von jenen Menschen gekauft werden können.

Am Ende bedanken sich alle, sagen bis bald. Die gekommen waren, scheinen eh zur Stammwählerschaft zu gehören. Ob Tacer heute Wähler gewonnen hat, weiß niemand.

(RP)
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