Rudern Duisburger Grütjen rudert für Cambridge

Duisburg · Helge Grütjen startete beim berühmten Boat Race in London. Dort arbeitet er neben Physik-Legende Stephen Hawking.

Rudern: Duisburger Grütjen rudert für Cambridge
Foto: Gerry Penny

Helge Grütjen brauchte erst einmal einige Zeit, um einen der aufregendsten Tage seines Lebens zu verarbeiten. Der 26-jährige Duisburger hat vergangene Woche den Sieg beim legendären Boat Race deutlich verpasst. Grütjen musste sich mit dem Achter aus Cambridge im weltberühmten Ruderduell der Universitäten auf der Themse nach 6,8 Kilometern zwischen Putney und Mortlake mit elf Bootslängen-Rückstand Oxford geschlagen geben. Auch gut eine Woche nach dem Rennen vor 250 000 Zuschauern sucht Grütjen noch immer nach den richtigen Worten: "Das ist die frustrierendste Art zu verlieren. Ich habe das Gefühl, die Möglichkeit zum Sieg gar nicht bekommen zu haben. Ich fühle mich um die Chance betrogen und momentan leer. Das muss ich erst verarbeiten. Ich weiß immer noch nicht, wie ich damit umgehen soll." Sein Frust bezog sich auf eine Szene nach knapp fünf Minuten des Rennens, als die Boote kollidierten und Cambridge-Ruderer Luke Juckett nur mit Mühe einen Sturz ins Wasser vermeiden konnte: "Ihm ist dabei der Ausleger gebrochen. Wir sind also nur noch mit sieben Mann gerudert", erklärt Grütjen, dessen hellblau gekleidetes Team zum Zeitpunkt des Crashs voll im Soll lag. Für Oxford war es im 160. Duell der 78. Sieg seit dem ersten Rennen im Jahre 1829.

Rudern: Duisburger Grütjen rudert für Cambridge
Foto: Marc Sch�fer

Dass der Deutsche überhaupt am traditionsreichsten Ruderrennen der Welt teilnahm, grenzt an ein kleines Sportwunder. 2010, als er für seine Promotion nach England kam, saß der 26-Jährige erstmals in einem Ruderboot: "In Cambridge dreht sich wirklich alles um Rudern. Das ist der Wahnsinn. Ich habe mich dann von Kommilitonen überreden lassen. Mit meiner Körpergröße kam ich daran nicht vorbei", so Grütjen, der fortan seinen Lebensstil änderte. Vom rauchenden Langschläfer avancierte der Phsyik-Student zum nichtrauchenden 6-Uhr-Aufsteher: "Es ist hat sich irgendwie zu einer Obsession entwickelt", beschreibt Grütjen und fügt an: "Meine Anfänge waren bescheiden. Die Idee schien absurd, einmal am Boat Race teilzunehmen. Ich habe trotzdem alles versucht. Und es hat gereicht."

Grütjen ist bereits der 23. deutsche Starter, aber der erste, der zuvor in seiner Heimat keine Erfahrung im Rudern hatte. Die meisten seiner Vorgänger traten als Weltmeister oder Teil der Nationalmannschaft an. "Ich bin recht schnell in den Entwicklungskader gekommen. 2012 gehörte ich dann zu den 50, 60 Leuten, die die Chance hatten irgendwann einmal im Boot zu sitzen. Dass ich das aber geschafft habe, war schon furchtbar aufregend", so Grütjen.

Zuvor hatte der 2,04-Meter-Mann nur sporadisch und nebenher Sport betrieben: "Ich habe beim Homberger TV Basketball gespielt und es später immerhin in die NRW-Liga geschafft. Auch in meiner Zeit in Chicago, wo ich ein Stipendium absolvierte, habe ich Basketball gespielt. Rudern kannte ich da aber nur aus dem Fernsehen." Auch die Regattabahn im Sportpark hatte für Grütjen zuvor nur wenig Anziehungskraft: "Das ist schon paradox. Ich musste erst in die Welt hinaus, um zu realisieren, was für tolle Möglichkeiten man an der Regattabahn in Duisburg hat", erzählt Grütjen, der mittlerweile auch Mitglied im Duisburger Ruderverein ist: "Immer wenn ich zu Hause bin, meist im Sommer oder im Winter, trainiere ich dort. Idealere Trainingsmöglichkeiten gibt es kaum", erklärt Grütjen, der in den Monaten vor dem Boat Race mindestens 13 Trainingseinheiten pro Woche absolvierte. Nur seine Promotion in angewandter Mathematik und theoretischer Physik, für die er Tür an Tür mit Jahrhundert-Physiker Stephen Hawking arbeitet, hatte im letzten Jahr weiterhin Vorrang: "Es wurde berichtet, dass Stephen mein Doktorvater ist, aber das stimmt nicht. Er nimmt gar keine Doktoranten mehr an. Richtig ist aber, dass wir am gleichen Lehrstuhl sind und unsere Büros direkt nebeneinander haben. Ich sehe ihn also recht häufig", erzählt Grütjen.

Nicht nur auf dem Wasser ist der Duisburger hochbegabt. Schon als 17-jähriger Schüler der Jahrgangsstufe 12 besuchte er erste Vorlesungen an der Uni Duisburg-Essen und erwarb Leistungsnachweise. So konnte er nach seinem Abitur am Franz-Haniel-Gymnasium in Homberg (Note 1,0) das reguläre Physikstudium besonders früh aufnehmen. Nach dem Fulbright-Vollstipendiat beim einjährigen Masterprogramm der University of Chicago zog es ihn nach England: "Es war mein größter Wunsch dort meine Promotion durchführen zu können. Da wusste ich noch nicht, wie sich das entwickelt."

Wie es sportlich weitergehen wird, steht noch nicht fest. "Ich weiß es noch nicht. An der Niederlage im Boat Race habe ich ordentlich zu knabbern. Vielleicht unternehme ich noch mal einen Anlauf. Wohin es mich nach der Promotion zieht, habe ich auch noch nicht entschieden. Auch eine Rückkehr nach Duisburg kann ich mir gut vorstellen", so Grütjen, der dann sicher nicht nur sporadisch die Regattabahn in Wedau besuchen würde.

(RP)
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