Korschenbroich Eine Zeitzeugin erinnert sich

Korschenbroich · "Gegen das Vergessen": Tamar Dreifuss über die Zeit im jüdischen Ghetto.

 Tamar Dreifuss berichtet über die Verfolgung durch Nationalsozialisten.

Tamar Dreifuss berichtet über die Verfolgung durch Nationalsozialisten.

Foto: D. Ilgner

Der Veranstaltungssaal der Alten Schule ist so voll, dass weitere Stühle hineingetragen werden müssen - mit so vielen Besuchern hat niemand gerechnet. Grund für den immensen Zulauf ist die alljährliche Veranstaltung "Gegen das Vergessen" des Kulturamtes, mit der an die schrecklichen Geschehnisse in der Pogromnacht 1938 erinnert werden soll. Erstmalig ist die Begegnung mit einer Zeitzeugin ermöglicht worden. Tamar Dreifuss wurde 1938 in Litauen geboren und lebte mit ihrer Mutter von 1941 bis 1944 in dem jüdischen Ghetto Ponar in der Nähe der litauischen Hauptstadt Vilnius. "Ich muss mich manchmal kneifen, um zu verstehen, dass ich den Krieg wirklich überlebt habe", beginnt Tamar Dreifuss ihre Erzählung.

Ihre Mutter Jutta Schapiro-Rosenzweig hat die Erlebnisse in Ponar in den 1970er Jahren aufgeschrieben und veröffentlicht. Tamar Dreifuss liest Szenen aus dem Buch ihrer Mutter, die fassungslos machen und schockieren. Sie erzählt, wie Soldaten in jüdische Häuser eindrangen, kleine Kinder von ihren Müttern weggezerrt wurden und Juden Schaufeln bekamen, um ihr eigenes Massengrab auszuheben. "Die schrecklichen Schreie der Mütter und Kinder schallten durch die Straße. Immer wieder waren die Schüsse der Hinrichtungen zu hören. Wir hofften, dass die Schüsse aufhören würden. Dass das alles wie ein böser Traum einfach vorbei sein würde."

Ihre Mutter wollte nie, dass ihre Tochter jemals in Deutschland lebt. Dann ging aber Tamar Dreifusses Ehemann nach Deutschland, um hier zu studieren - und sie begleitete ihn: "Wir wollten höchstens zwei Jahre bleiben. Aber wir sind hier geblieben und haben Kinder bekommen." Ihre Zeit in Deutschland nutzt sie bis heute dazu, von der Zeit im jüdischen Ghetto zu berichten. Besonders bei Kindern und Jugendlichen erlebt sie, dass ein großes Interesse an dem Thema besteht. "Die jungen Menschen stellen mir so viele Fragen. Deswegen weiß ich, dass ich weitermachen muss. Ich muss alles erzählen. Damit nicht vergessen wird, was damals passiert ist."

Tamar Dreifuss hat mittlerweile auch ein Buch geschrieben mit dem Titel "Die wundersame Rettung der kleinen Tamar".

(dge)
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