Mönchengladbach 1995: Der große Knall in der Gladbacher SPD

Mönchengladbach · Die Macht schien für Rot-Grün greifbar nahe. Da scherten fünf Sozialdemokraten aus. Die neue Fraktion USD kooperierte mit der CDU.

 Früher SPD, dann USD: die USD-Fraktion mit (v.l.) Felizitas Voosen, Winfried Eßer, Günter Waldhausen, Hans-Günter Steins und Dieter Lenßen. Sie wurden fortan von der SPD geschnitten.

Früher SPD, dann USD: die USD-Fraktion mit (v.l.) Felizitas Voosen, Winfried Eßer, Günter Waldhausen, Hans-Günter Steins und Dieter Lenßen. Sie wurden fortan von der SPD geschnitten.

Foto: Lothar Strücken

Er war als Politiker streitbar, scharfzüngig, schlagfertig, autoritär. Und er war ein glänzender Strippenzieher. Wenn Winfried Eßer, lange mächtiger Bezirksvorsteher von Rheydt-Mitte und SPD-Fraktionsgeschäftsführer, auftrat, dann hörten ihm die Menschen zu. Seine Meinung hatte Gewicht: in Rheydt sowieso, in der SPD, bei Zeitungsleuten, aber auch beim politischen Gegner. Wenn Eßer seine Aktentasche öffnete, Finanzunterlagen herausholte und die Haushaltslage der Stadt erklärte, dann drängte sich schnell der Eindruck auf: Der Mensch weiß, wovon er spricht.

 Klaus Schäfer sollte 1994 OB werden - und scheiterte an fünf Abweichlern.

Klaus Schäfer sollte 1994 OB werden - und scheiterte an fünf Abweichlern.

Foto: Lothar Strücken

Doch sein politisches Schicksal hat tragische Züge. Eßer gilt bei den Mönchengladbacher Sozialdemokraten als Spalter, einer, der die SPD ins Mark traf, als er mit weiteren Parteifreunden die Fraktion der USD, die "Unabhängigen Sozial-Demokraten", gründete. Und das just zu einer Zeit, als die SPD in der Stadt mit Hilfe der Grünen an die Macht kommen und die CDU ausbooten konnte. Das verhinderten Eßer und vier weitere Ratsmitglieder, die aus der SPD austraten, ihre Mandate aber behielten und 1995 als USD eine Kooperation mit der CDU eingingen. Als "Fünfer-Bande" und, wegen ihrer engen Verbindung zur IG Metall, als "Blechkompanie" wurden die USD-Politiker verunglimpft. Die Jusos machten sogar eine Art Wettbewerb, was das Kürzel "USD" alles heißen könnte: "Unnütze Sektierer-Desperados" und die "Unsympathischen Subversiven-Dienstältesten" waren zwei unter mehreren Vorschlägen.

Führende Rheydter Sozialdemokraten scheinen eine gewisse Vorliebe für Partei-Abspaltungen zu haben. Schon 1969 trennte sich mit dem damaligen SPD-Oberbürgermeister Wilhelm Schiffer ein prominentes Mitglied nach einem Richtungskampf von der SPD. Er bildete mit Mitstreitern die FWG, die 1969 acht Mandate im Rheydter Rat holte und die Vereinigung Rheydts mit Gladbach rigoros ablehnte. In Eßer meinten viele Sozialdemokraten einen ähnlich strukturierten Spalter entdeckt zu haben, allerdings auf einer ganz anderen Ebene. Und oft wurde ins Feld geführt, dass Eßer und den damaligen einflussreichen CDU-Fraktionsvorsitzenden Alfred Bohnen eine gemeinsame private Geschichte verband. Bohnen war Ministrant in Eicken, Eßer nach eigenen Aussagen in Eicken Vorbeter, sie drücken beide gemeinsam die Schulbank und wohnten im selben Haus.

 Da deutete sich der Konflikt in der SPD bereits an: Lothar Witek (r.) warb beim Parteitag 1989 für das Bündnis mit der SPD. In seiner Partei aber rumorte es. Es gab Proteste.

Da deutete sich der Konflikt in der SPD bereits an: Lothar Witek (r.) warb beim Parteitag 1989 für das Bündnis mit der SPD. In seiner Partei aber rumorte es. Es gab Proteste.

Foto: Udo Dewies

Die Verbindung zwischen Eßer und Bohnen führte 1989 zu einer Kooperation im Rat, heute spricht man von der ersten GroKo, der ersten Großen Koalition, die es aber im kommunalpolitischen Raum so nicht gibt. Die CDU hatte sich mit ihrem bisherigen Partner FDP zerstritten - zunächst in einer Sitzung des Finanzausschusses und später, weil das Abstimmungsverhalten in den Bezirksvertretungen nicht so war, wie sich das die Christdemokraten gewünscht hatten. Im November 1989 unterschrieben Bohnen und der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Lothar Witek eine Vereinbarung, die zwei Seiten umfasste und im Wesentlichen die Verteilung von Posten regulierte. Doch schon da rumorte es in der SPD gewaltig. Von Posten-Geschacher - Witek selbst sollte Beigeordneter werden - war die Rede, als künftigen "Feuerwehr-Dezernenten" bezeichnete man ihn intern abfällig.

In der SPD knallte es weiter: Hans-Willi Körfges wurde Parteivorsitzender. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Witek trat als Fraktionsvorsitzender zurück, verließ sogar die Partei. Und inhaltlich wurde die SPD danach neu ausgerichtet. Denn es gab eine neue Machtoption: Die Grünen, die damals in Mönchengladbach noch Grün-Alternative Fraktion hießen, gewannen zunehmend an Bedeutung - Rot-Grün wurde vorbereitet.

Das war die Ausgangslage bei der Kommunalwahl im Herbst 1994, bei der die SPD ein (für Gladbacher Verhältnisse) "Traumergebnis" erzielte: 37,3 Prozent, 26 Sitze. Mit den Grünen (7 Mandate) war man an der CDU (31) vorbei, allerdings gab es noch drei FDP-Ratsmitglieder. Und die wiederum führten Gespräche mit SPD und Grünen. Sogar von einem möglichen Ampel-Bündnis - zumindest bei einigen inhaltlichen Fragen - berichtete damals die Rheinische Post.

Rot-Grün wollte Klaus Schäfer (SPD) zum Oberbürgermeister wählen und war sicher, eine Mehrheit zu bekommen. Die Zusammenarbeit mit der CDU wurde von der SPD-Ratsfraktion und dem sozialdemokratischen Unterbezirksvorstand aufgekündigt. Es rumorte wieder in der SPD. Dann das Fiasko: Schäfer bekam nicht alle 33 Stimmen von SPD und Grünen, sondern nur 27. Der CDU-Kandidat Heinz Feldhege wurde OB. "Wir saßen ratlos da und fühlten uns, als hätte jemand einen Eimer kaltes Wasser über uns ausgeschüttet", erinnert sich ein führender Sozialdemokrat an diese Situation. Eine Kommission wurde gebildet, die nachforschen sollte, wer die Abweichler waren. Die SPD war sicher: Sie kamen aus den eigenen Reihen. Aber keiner bekannte sich. Nur Vermutungen existierten. "Wir Juristen sprechen da gerne vom ,Beweis des ersten Anscheins'", sagt Schäfer heute. Es kam aus sozialdemokratischer Sicht noch schlimmer: zur Gründung der USD.

Winfried Eßer, Hans-Günter Steins, Bürgermeister Günter Waldhausen, Awo-Chef Dieter Lenßen und Felicitas Voosen traten aus der SPD aus und gingen als USD ein Bündnis mit der CDU ein. "Seit Oktober 1994 bis heute ist deutlich geworden, daß die derzeitig Verantwortlichen in der SPD mit Bündnis 90/Die Grünen nicht in der Lage sind, zukunftsweisende Politik für unsere Stadt zu gestalten", heißt es in der Vereinbarung zwischen der CDU- und der USD-Fraktion vom 22. April 1995.

Die SPD schäumte. Und sie empfand es geradezu als brüskierend, als Klaus Schäfer als Bürgermeister von der neuen Kooperation abgewählt und an seiner Stelle der USD-Mann Steins von CDU und USD gewählt wurde. Eßer bekam als Fraktionsgeschäftsführer von der SPD die fristlose Kündigung, wurde USD-Fraktionschef, blieb - dank CDU - Bezirksvorsteher in Rheydt-Mitte und bekam einen Beratervertrag bei den Stadtwerken mit einem angeblich sechsstelligen Jahresgehalt.

Die Wunden bei der SPD verheilten nur schlecht. Wer sich wundert, warum die Sozialdemokraten in der vergangenen Wahlperiode ein Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP eingingen und der CDU die kalte Schulter zeigten, kann aus dem Geschehen der 1990er Jahren Rückschlüsse ziehen. Das sei immer noch die alte CDU, kritisierten führende Sozialdemokraten 2009. Inzwischen ist das Verhältnis entspannt, es gibt viele jüngere Ratspolitiker, die die Situationen von 1989, 1994 und 1995 nur noch aus der jüngeren Stadtgeschichte kennen. Die heutigen Fraktionsvorsitzenden Dr. Hans Peter Schlegelmilch (CDU) und Felix Heinrichs (SPD) haben dies alles hinter sich gelassen.

Für den einstigen lokalen SPD-Star Winfried Eßer ging seine USD-Zeit auch nicht gut aus. Seine vier einstigen Mitstreiter entzogen ihm das Vertrauen als Fraktionschef. Zur Kommunalwahl 1999 trat die USD dann nicht mehr an. Die SPD rutschte da auf 28,4 Prozent ab, bekam nur noch 20 Sitze. Dafür schaffte es die FWG mit fast zehn Prozent in den Rat. Doch das ist wieder eine neue Geschichte.

(RP)
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