Solingen Ein Gnadenschuss für die Banker

Solingen · In einem dreistündigen Sturmlauf gegen Dummheit und Kapitalismus zeigte sich Volker Pispers im ausverkauften Theater in Höchstform.

"Wir Deutschen wollen eigentlich gar keine Demokratie, sondern einen gütigen König - wenn wir schon keinen Führer mehr haben dürfen." Wie sonst lässt es sich erklären, dass Angela Merkel durch keine Wahl zu besiegen ist? "70 Prozent der Bevölkerung sind mit Merkels Politik zufrieden." Aber ebenfalls 70 Prozent haben die Regierung satt. "Sind das vielleicht dieselben 70 Prozent?" Der Deutsche versteht es halt, Kanzler und Regierung auseinanderzuhalten. "Womöglich heißt es später einmal: Wenn das die Merkel gewusst hätte!"

Am Mittwoch war es wieder soweit: Im schon lange ausverkauften Pina-Bausch-Saal des Theaters verteilte Volker Pispers in der aktuellen Version seines Programmes "Bis neulich" ordentlich Watschen. "Hier kann man sich die Kritik am eigenen Lebenswandel folgenlos um die Ohren hauen lassen. Das ist wie in der Kirche. Die nehmen wir ja auch nicht ernst - sonst wären wir Muslime." Im politischen Kabarett ist heute Volker Pispers wahrscheinlich der Politischste - auf jeden Fall der Wortgewaltigste, der fast wie nebenher charmant-unschuldig die bitter-bösesten Pointen setzen kann.

"Die Hedgefondsbanker sind so krank. In der Tierwelt gäbe es den Gnadenschuss." Wer Pispers vor einem Jahr in Solingen erlebt hat, kann das Unvorstellbare bestätigen: Volker Pispers ist noch besser, noch härter, noch kompromissloser. "Die letzte Bundestagswahl war ein Offenbarungseid. Ein Drittel ist gar nicht erst hingegangen, ein weiteres Drittel wusste kurz vorher nicht, was es wählen sollte." Es ist ja auch mittlerweile egal, ob man Schwarz, Rot, Gelb oder Grün wählt. Rot-Grün habe bewiesen, dass man keine FDP braucht, um neokapitalistische Politik zu machen. "Das Verarschtsein gehört zum Wirtschaftssystem." Deshalb geht auch keiner mehr wählen. Alles ist gleich. Alleine die Medien fabrizieren eine Simulation von Demokratie. Falsche Zahlen vom Arbeitsmarkt werden herausposaunt. Man liest und hört nichts von den Millionen, die aus der Statistik herausgerechnet werden. "Selbst die krankgeschriebenen Arbeitslosen werden nicht gezählt. Da würde Ebola den Arbeitsmarkt ernsthaft entlasten." Verlogenheit an allen Ecken und Enden.

Da sind sich die Politiker fies vor, zum EM-Endspiel in die böse Ukraine zu reisen, aber kurz danach sitzen sie mit den Wirtschaftsvertretern im Flieger gen China. "Da werden die Menschenrechte ja nicht mit Füßen getreten, sondern sanft einmassiert." Deutschland ist auch nicht von ungefähr der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Und die Waffen werden dahin geliefert, wo sie gebraucht werden. "Es macht ja auch keinen Sinn, Schuhe an Bettlägerige zu verkaufen." Dann ist Deutschland weltführend in Sachen Prothesen. "Das nenne ich ein Systemangebot. Man muss nur in Zusammenhängen denken. Wer von einer Heckler & Koch niedergeschossen wurde, den brauchen wir nicht mehr vor Lampedusa aus dem Meer zu fischen." Um zu sehen, wo die Reise hingeht, muss man nur in die USA blicken, die uns ja immer einen Schritt voraus sind. Da verschanzen sich die Reichen in ihren Vierteln hinter Sicherheitspersonal. Da kommt die Mittelschicht nicht mehr dazu, über Politik nachzudenken, weil man mit zwei und mehr Jobs damit beschäftigt ist, zu überleben. Da werden die Armen in ihren Vierteln sich selbst überlassen, "weil sich noch nicht einmal mehr die Polizei reintraut. 26 Ermordete gibt es jeden Tag in den USA. Im Irak nennt man das Bürgerkrieg." Das ist Kapitalismus im Endstadium. "Wir sitzen in einem Zug, der auf den Abgrund zurast." Aber das Einzige, was passiert, ist, dass alle vier Jahre über den Lokführer abgestimmt wird. "Da muss man doch die Notbremse ziehen. Und dann muss man miteinander diskutieren, wie man leben will."

Konkret bittet Volker Pispers bei seinem dreistündigen Sturmlauf gegen Dummheit und Kapitalismus: "Heben sie ihre Eintrittskarten auf. Wenn das Schweinesystem einmal zusammengebrochen ist und sie gefragt werden, was sie damals dagegen getan haben, können sie wenigsten beweisen, im Kabarett gewesen zu sein."

(RP)
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