Ein Tourist berichtet Nordkorea — Reise durch das Reich der Kims

Pjöngjang · Westliche Touristen dürfen die letzte stalinistische Diktatur der Welt besuchen. Es ist eine Reise voller bizarrer Eindrücke.

So sehen wir Nordkorea selten
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Schon die Reiseunterlagen bergen erste Überraschungen. Wer nach Nordkorea will, benötigt neben dem üblichen Visum eine Bescheinigung seines Arbeitgebers und muss eine Erklärung unterschreiben, sämtliche während des Aufenthalts gemachten Fotos nur für den privaten Gebrauch zu verwenden. Außerdem gibt es erste Verhaltenshinweise, die von den ständigen Begleitern gleich bei der Ankunft am Flughafen eindringlich wiederholt werden.

Zum Beispiel darf man keine Tageszeitung oder Broschüre, auf der das Foto eines der drei Kims (Großvater, Vater und Sohn) abgebildet ist, und das ist eigentlich immer der Fall, in den Papierkorb werfen. Die Warnung erfolgt aus gutem Grund. Vor einigen Jahren hatte ein österreichischer Tourist eine Zeitung achtlos zusammengeknüllt und seine Zigarette darin ausgedrückt. Das hatte ein Zimmermädchen gemeldet. Der Mann wurde verhaftet, verhört und abgeschoben.

Das Regime braucht Devisen

Seit Jahren schon sind Reisen für Europäer nach Nordkorea möglich, seit 2012 Jahr sogar für US-Bürger. Das Regime braucht Devisen und möchte außerdem das Land in gutem Licht darstellen. Immer wieder aber werden die Grenzen vorübergehend dichtgemacht, so zuletzt im März 2013, als die Zeichen mal wieder auf Eskalation standen und aus Pjöngjang Kriegsdrohungen zu hören waren. Mittlerweile schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung, und Reisen ins Land sind wieder möglich.

Über mangelnde Betreuung kann sich der westliche Tourist jedenfalls nicht beklagen. Stets sind zwei offizielle Begleiter bei der Reisegruppe. So bleibt alles besser unter Kontrolle, und jeder kann jeden überwachen. Dass die beiden Aufpasser sich nicht einmal untereinander kennen, ist freilich eines dieser Gerüchte, für das es keinen Beleg gibt. Über Nordkorea kann man vieles behaupten, weil nichts nachprüfbar ist. Aufgabe der "Reiseführer" ist es nicht nur, alles Organisatorische zu übernehmen und die Verhältnisse bei Bedarf schönzureden (Frage eines Touristen: "Wozu sind denn die Autos mit den riesigen Lautsprechern auf dem Dach, die immer durch die Wohngebiete fahren?" Antwort: "Zur Motivation"). Sie sind vor allem da, um unkontrollierte Kontakte zur Bevölkerung zu verhindern. Die sind praktisch unmöglich. Sollte es einmal gelingen, den Aufpassern zu entwischen, wäre es dennoch höchst gefährlich, einen solchen Kontakt aufzunehmen. Weniger für den Ausländer, aber mit Sicherheit für den Einheimischen.

Manchmal liegt außer den Kim-Monumenten alles im Dunkeln

Wirklich überall präsent ist die Kim-Dynastie: der "große Führer" und Staatsgründer Kim Il Sung, sein Sohn und Nachfolger, der "geliebte Führer" Kim Jong Il, sowie sein Enkel, der derzeitige Staats- und Parteichef Kim Jong Un. Letzterer hat bisher noch keinen offiziellen Führertitel, auch deshalb gibt es von ihm noch nirgendwo diese überdimensionalen Wandbilder und Denkmäler, die seinen verstorbenen Vorgängern schon zu Lebzeiten gewidmet wurden. Die beiden Kims sind allgegenwärtig. Bei Nacht werden ihre Denkmäler und die größten Bilder hell angestrahlt. Das sieht besonders befremdlich aus, wenn gerade mal wieder ein Stromausfall die Hauptstadt lahmgelegt hat. Im Winter kommt das oft vor, und dann liegt außer den Kim-Monumenten alles im Dunkeln. "Das ist doch ganz gut, dann kann man die Denkmäler noch viel besser erkennen", so der verblüffende Kommentar der Begleiter.

Der Höhepunkt des Führerkults um die Kims ist im zum Mausoleum umgebauten Kumsusan-Palast zu beobachten, wo mehrere Hundert Meter lange Menschenschlangen warten, um an den aufgebahrten Verstorbenen vorbeizudefilieren. Man muss sich in Viererreihen und dann in Viererblöcken formieren. Auf ein Zeichen hin darf dann die erste Reihe an den Sarg vortreten, sich verbeugen, um den Sarg herum gehen, dabei an den Seiten jeweils noch einmal stehenbleiben und sich verbeugen, am Kopfende jedoch nur kurz stehenbleiben.

Eine Frau weint auf Knopfdruck

In der nächsten großen Halle beweint eine Frau bitterlich den Tod Kim Il Sungs und seines Sohnes Kim Jong Il und schluchzt herzzerreißend über den Verlust der beiden. Sie tut das so überzeugend, dass man kaum glauben mag, dass das Ganze nur gespielt ist. Nach einigen Minuten beendet sie ihren weinenden Monolog und ihre Gesichtszüge entspannen sich. Sie sagt der Besuchergruppe, sie könne jetzt weitergehen. Dann schaut sie auf die nächsten Besucher in der langen Schlange und beginnt von Neuem zu weinen.

Zur Rushhour hat Pjöngjang mittlerweile fast so viel Verkehr wie ein DDR-Städtchen in den 70er Jahren. Es kann schon mal vorkommen, dass an einer der riesigen Kreuzungen bis zu zehn Autos bei Rot an der Ampel warten. Die Straßen sind so großzügig bemessen, dass die Wagen theoretisch auch nebeneinander stehen könnten. Die bis zu 100 Meter breiten Straßen durchziehen jede nordkoreanische Stadt. Sie stehen im extremen Kontrast zu der — vorsichtig ausgedrückt — äußerst geringen Verkehrsdichte und erinnern an makabere Episoden aus der leidvollen koreanischen Geschichte. In den 50er Jahren konnten sowjetische Planer aus dem damaligen großen Bruderland Stadt und Land deswegen so umfassend planmäßig neu aufbauen, weil amerikanische Bomben im Koreakrieg fast alle urbanen Zonen dem Erdboden gleichgemacht hatten.

Gähnend leere Autobahnen

Für eine Drei-Millionen-Stadt ist Pjöngjang flächenmäßig relativ klein. Das liegt daran, dass praktisch alle Einwohner in Hochhäusern und riesigen Wohnblöcken leben. Viele der Gebäude sind dringend renovierungsbedürftig, Verfall ist überall sichtbar. Das soll aber genau wie Zeichen der Armut nicht fotografiert werden, "um Missverständnisse zu vermeiden".

Durch die Planung auf dem Reißbrett wurde viel Platz geschaffen für breite Straßen, Paradeplätze, Denkmäler und weitläufige Grünstreifen. Die Grünstreifen werden von zahlreichen Arbeitsbrigaden gepflegt. Die ärmlich gekleideten Gartenbau-Arbeiter haben meistens eine kleine Handsichel als einziges Werkzeug, sie ersetzt auch bei großen Flächen den Rasenmäher. Auch auf den zahlreichen Großbaustellen wird vorwiegend Handarbeit verrichtet, was den Eindruck regsamer Geschäftigkeit vermittelt. Doch der verflüchtigt sich sofort an der Stadtgrenze. Hier lässt der Verkehr nicht nur nach, er kommt praktisch völlig zum Erliegen. Auf der Autobahnfahrt in die 170 Kilometer entfernte Industriestadt Kaesong begegnet einem nur noch etwa alle zehn Minuten ein Auto. Neben gähnend leeren Autobahnen gibt es auch ein dichtes Netz von Bahnschienen, auf denen aber ebenso gähnende Leere herrscht. Es wirkt ganz so, als ob sich die urbanen Zonen selbst versorgen und ein Warenaustausch zwischen den Städten so gut wie gar nicht stattfindet.

(RP)
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