Asylbewerberunterkunft in Clausnitz Polizei gibt Flüchtlingen Mitschuld an Eskalation

Chemnitz · Nach ihrem Einsatz bei Protesten vor einer Asylbewerberunterkunft in Clausnitz geht die Polizei in die Offensive und gibt den Flüchtlingen eine Mitschuld. Diese hätten aus dem Bus gefilmt und die Demonstranten mit Handzeichen provoziert, sagte der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann.

 Der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann.

Der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann.

Foto: dpa, hsc cul

Deswegen seien drei Flüchtlinge von der Polizei gewaltsam aus dem Bus geholt worden. Dies sei "absolut notwendig und verhältnismäßig" gewesen, betonte Reißmann. Zugleich räumte er ein, dass die Polizei am Donnerstagabend Probleme hatte, der Situation in dem kleinen Erzgebirgsort Herr zu werden.

Zu Beginn nur eine Streife vor Ort

An dem Abend hatte sich ein fremdenfeindlicher Mob - zeitweise bis zu 100 Menschen - vor dem Flüchtlingsheim versammelt und versucht, die Ankunft der Asylbewerber mit einer Blockade zu verhindern. Anfangs war dabei nur eine Polizeistreife vor Ort.

Polizei Sachsen in #clausnitz ... Umgang mit verängstigten Flüchtlingskindern. #kaltland

"Aus heutiger Sicht war das eine Fehleinschätzung", sagte Reißmann.
Ein Beamter habe den Demonstranten einen Platzverweis samt Konsequenzen angedroht und dafür nur Gelächter geerntet. Danach gefragt, warum der Platz nicht geräumt wurde, sagte der Polizeipräsident: "Es hat dafür die Kraft gefehlt." Zum kritischen Zeitpunkt seien weniger als 20 Beamte vor Ort gewesen. Die Demonstranten stammen seinen Angaben zufolge weitgehend aus Clausnitz selbst.

Angst vor Steinen und Böllern

Seit dem Einsatz sorgen Videoclips im Internet für Empörung. Zu sehen sind verängstigte Flüchtlinge in dem Bus, ein Polizist zerrt einen Jungen rabiat aus dem Fahrzeug. Dies sei zum Schutz des Jungen erfolgt und abgesprochen gewesen, erklärte Reißmann. Es sei davon auszugehen gewesen, dass er in dem Gebäude sicherer sei als in dem Bus. Aus der Erfahrung früherer Einsätze habe man damit rechnen müssen, dass die Demonstranten Steine oder Böller auf den Bus werfen.

Das ZDF berichtete, der Leiter der Unterkunft gehöre der rechtspopulistischen AfD an. Auf Anrufe und Rückrufbitten der dpa reagierte der Mann nicht. Die AfD weist ihn im Internet aber als Mitorganisator von Parteiveranstaltungen aus. Nach Angaben Reißmanns hatte der Bürgermeister des Ortes die Einwohner über die Ankunft der Flüchtlinge informiert.

Junge stammt wohl aus dem Libanon

Der Junge aus dem Internetvideo ist nach eigenen Angaben 14 Jahre alt und stammt aus Tripoli im Libanon. Er ist mit seinem Bruder und seinem Vater seit drei Monaten in Deutschland und war zunächst in Dresden untergebracht, wie er der dpa sagte. Der Bruder ist auf dem Video zu sehen, wie er freiwillig, aber weinend den Bus verlässt.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sorgt sich indes um das Ansehen der Polizei. "Die Videoaufnahmen über die Maßnahmen von einzelnen Polizisten sind höchst irritierend", sagte Oppermann. "Die Innenminister von Bund und Land sind verantwortlich, solches Polizeiversagen zu unterbinden." Es sei Aufgabe der Polizei, Flüchtlinge vor "diesem widerlichen Mob" zu schützen. "Der ganze Vorgang beschädigt auch das zu Recht gute Ansehen der Polizei."

Özdemir fordert Suspendierung

Grünen-Bundeschef Cem Özdemir forderte, den leitende Polizeibeamten des Einsatzes zu suspendieren. Er sei seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Polizeipräsident Reißmann sagte dagegen, er sehe keinen Anlass für Konsequenzen. Die Grünen wollen den Polizeieinsatz am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags thematisieren. Die Fraktion bestätigte auf Anfrage eine entsprechende Meldung des MDR.

Derzeit geht die Polizei 14 Anzeigen etwa wegen Verstößen gegen das Versammlungsrecht oder Nötigung nach. Reißmann rechnete damit, dass es noch mehr werden. Auch schloss er Ermittlungen gegen einzelne Flüchtlinge nicht aus. Zudem seien mehr als 50 Online-Anzeigen wegen des Polizeieinsatzes eingegangen.

(csi/dpa)
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