Kardinal Lehmann gestorben Abschied vom großen Theologen

Mainz · Kardinal Lehmann hat wie kein Zweiter die katholische Kirche weit über Deutschland hinaus geprägt und mit seinen Schriften sowie seinem Wirken wichtige Impulse gegeben. Mit 81 Jahren ist er jetzt gestorben.

Ob Karl Kardinal Lehmann glücklich gewesen ist? Ob er behaupten würde, ein glückliches Leben geführt zu haben? Das sind vielleicht irritierende Fragen an einem Tag, an dem der Tod dieses großen Theologen und so bedeutenden Bischofs verkündet wurde. Es war keine überraschende Nachricht: Der 81-Jährige hatten zeitlebens Raubbau an seiner Gesundheit getrieben, er hat nie auf den Körper gehört, wenn der Geist ihn wieder in Anspruch nahm. Und das war ständig so. Von den Folgen eines Schlaganfalls im vergangenen September konnte er sich dann nicht mehr erholen. Ein paar Wochen blieb sein Zustand stabil, bis schließlich die Kräfte mehr und mehr schwanden. Zuletzt soll der Kardinal signalisiert haben, dass er sich auf den Weg mache, seinen letzten Weg.

Die Frage nach dem Glück hat der Kardinal in einem seiner vielen Bücher selbst gestellt. "Wer nach dem Glück fragt, kommt an kein Ende", schrieb er. Lehmann wird sich diese Frage immer wieder gestellt und durchaus unterschiedlich beantwortet haben. Denn zu seiner Liebe zum Lesen, Denken und Schreiben gesellte sich dann oft — vielleicht zu oft — die Pflicht seines Amtes. Von so etwas wie "Pflichterfüllung" hat Lehmann dennoch nie gesprochen. Bei ihm klang das vielmehr so: "Ich habe stets das gemacht, was von mir verlangt wurde." Man kann es aber noch kürzer sagen: Adsum — "hier bin ich, ich bin bereit". Das ist die Antwort jedes Kandidaten zur Priesterweihe. Und genau dieses Adsum ließ ihn nicht ruhen und nährte seine Auffassung von Seelsorge: als eine Geste von Treue — den Menschen und der Kirche gegenüber.

"Ein großer Menschenfreund geht von uns"
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Foto: dpa, htf

Die Geschichte seines Lebens wurde zur Geschichte seines Glaubens. Bereits in der Jugend wurde er "religiös geprägt", doch "ohne Drill und Zwang". Seine Eltern legten sich krumm, um für ihn das Schulgeld aufzubringen; dafür blieb er ihnen ewig dankbar. Als Oberprimaner schrieb er 1955 einen Aufsatz über seinen staunenswerten Berufswunsch, dass er einmal in einem Bereich arbeiten wolle, der sich um die letztgültigen Seinsgesetze in staunend-demütiger Haltung bemüht.

Ein Werdegang, gespickt mit Superlativen

Dieses Ziel verfolgte er nicht eifrig, sondern meist übereifrig. Sein Werdegang — der in der Zusammenschau naturgemäß mühelos und gradlinig erscheint — ist gespickt mit Superlativen: Mit gerade einmal 32 Jahren trat er seine erste Professur für Systematische Theologie an der Mainzer Universität an. Und zu diesem Zeitpunkt war Lehmann schon zweifach promoviert worden: 1962 in Philosophie über die Seinsfrage bei Heidegger und 1967 in Theologie.

Vieles hatte bei ihm ein hohes Tempo. Als er 1987 zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt wurde, war er erst 51 Jahre alt. Der damals Jüngste der Ortsbischöfe stand somit der ältesten Bischofskonferenz der Welt vor. Und das bis zum Jahr 2008! So unglaublich war diese lange Amtszeit, dass sie Rom skeptisch machte und sodann tätig werden ließ. Jetzt ist beim Vorsitz der Bischofskonferenz hierzulande nur noch eine Wiederwahl erlaubt. "Lex Lehmann" wird die Vorschrift inoffiziell genannt. In Wahrheit ist sie eine "Lex Anti-Lehmann".

Lehmann und der Vatikan wurden nie wirkliche Freunde, obwohl er die römischen Verhältnisse bestens kannte. Lehmann hatte dort unter anderem an der Päpstlichen Universität Gregoriana studiert und war in der Ewigen Stadt durch Julius Döpfner auch zum Priester geweiht worden. Doch die Chemie hat selten gestimmt zwischen dem geistlichen Denker und den kirchlichen Bewahrern. Auch wurde immer wieder intrigiert gegen ihn; zwischenzeitlich war Rom sogar bemüht, mit dem Kölner Erzbischof Meisner eine Gegenmacht aufzubauen.

Lehmann bestand die Bewährungsprobe auf seine Art

Doch die fehlende Unterstützung von Fürsprechern im Vatikan konnte Lehmann oft genug mit Klugheit und Cleverness wettmachen. Dazu gehört die sogenannte Königsteiner Erklärung — ein "giftiges" Überbleibsel der Bischofskonferenz aus den Zeiten Kardinal Döpfners. Der hatte 1968 erreicht, ein Papier durchzusetzen, das die Verhütung auch als Gewissensentscheidung deutbar werden ließ und eine deutlich liberale Antwort auf die sogenannte Pillen-Enzyklika "Humanae Vitae" war. Sehr zum Unmut Roms. Und als Lehmann 1987 als neuer Vorsitzender der Bischofskonferenz seinen Antrittsbesuch bei Johannes Paul II. abstattete, wurde er vom Papst angehalten, diese "Königsteiner Erklärung" so bald wie möglich zurückzunehmen.

Das war eine Bewährungsprobe. Lehmann bestand sie auf seine Art und mit seinem Resultat. So schlug er dem Papst vor, zunächst ein Gutachten über das Papier erstellen zu lassen, das Lehmann dann selbst schrieb und auf der Bischofskonferenz in Fulda 1993 als Auftragsarbeit des Papstes vortrug. Zu einer geplanten Aussprache mit Rom kam es dann weder mit Johannes Paul II. noch mit dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, mit Josef Kardinal Ratzinger. Die "Königsteiner Erklärung" erlangte auf diesem Weg Gültigkeit.

Nicht ganz so erfolgreich endete für Lehmann die Debatte um die Schwangerenkonfliktberatung im Jahr 1998. Am Ende eines Machtkampfs, der auch hinter dem Rücken der Bischofskonferenz betrieben wurde, musste die katholische Kirche in Deutschland das staatliche Beratungssystem verlassen — auf finale Anordnung des Papstes, auf Betreiben konservativer Bischöfe — und gegen die Meinung Lehmanns.

Auch beim Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis Hans Küngs ging Lehmann auf Distanz zu Rom. Ein "rabenschwarzer Tag für die Theologie" ist dieser Entscheid für ihn gewesen. Johannes Paul II. gehörte zu den Gegnern Lehmanns und wurde doch sein Förderer. Auf sein Betreiben geht es zurück, dass Lehmann 2001 zum Kardinal ernannt wurde. Ein hohe Ehre für den Bischof von Mainz, doch für den Theologen eine zu späte Würdigung seiner Verdienste.

Mehr Denker als Seelsorger, mehr Philosoph als Bischof

Machtkämpfe hat Lehmann zwar nicht gescheut, doch letztlich kosteten sie ihn viel Zeit und unnötige Kraft. Glücklich machte ihn das nicht. Er stieg in den Ring der Weltkirche immer nur der Sache zuliebe. Er kritisierte die starke und einseitige Abhängigkeit der Ortskirchen von Rom, die es nach dem Konzil eigentlich gar nicht mehr geben sollte. Und er wünschte sich größere Spielräume für Experimente: für das Diakonat für Frauen etwa und die Laienpredigt in der Eucharistiefeier.

Glücklich, das war Lehmann — der stolze Besitzer von 120.000 Büchern sowie Autor und Herausgeber von knapp 4000 Büchern — damals in seiner Freiburger Professorenzeit. Es waren glückliche Forscherjahre von 1971 bis 1983. Dann trug das Mainzer Domkapitel ihm das Bischofsamt an. Nach zwei Tagen der Bedenkzeit sagte er schließlich ja — unter großen Schmerzen. Und die für ihn entscheidende Frage damals war: "Wirst du glücklich, wenn du jetzt sagst, dass du das nicht machst, wenn andere meinen, du solltest das tun?" Als er aus Freiburg abreiste und den Schlüssel seines Professorenhaushalts ein letztes Mal drehte, weinte er. Dass er diese Gefühlsregung nie verschwiegen hat, zeigt, wie sehr ihn das Ringen zwischen Pflicht und Leidenschaft zeitlebens umgetrieben hat.

Karl Kardinal Lehmann — der acht Päpste erlebte — ist immer etwas mehr Denker als Seelsorger geblieben, ein bisschen mehr Philosoph als Bischof. Der Theologe Karl Rahner war einer seiner großen wissenschaftlichen Väter und Begleiter, Julius Kardinal Döpfner das Vorbild vor allem im bischöflichen Dienst. Von Döpfner, der Lehmann 1963 in Rom zum Priester weihte, bekam er später dessen Konzilsring. Er trug ihn bis zum Lebensende.

Das Wirken als Professor ist stets seine Liebe gewesen, das Bischofsamt hingegen habe er "gerne ausgeübt". Unser Leben sei "ein einziger Roman von der Schwierigkeit, glücklich zu sein", hat Lehmann einmal geschrieben. Er hat sich mit seinem Leben in den Dienst der Kirche gestellt. Für sie und für die Menschen ist er ein großes Glück gewesen.

Kardinal Karl Lehmann - Bilder aus seinem Leben
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Mit seinen Schriften und seinem Wirken hat er der Nachwelt ein großes Testament übergeben. Auch das dürfte Karl Kardinal Lehmann — dem jede Eitelkeit und jeder Personenkult fremd und suspekt waren — glücklich gemacht haben.

(los)
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