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Wegen Beihilfe zum Genozid Armenier fordern Entschuldigung von Deutschland

Diyarbakir · Hundert Jahre nach den Massakern an den christlichen Armeniern im Osmanischen Reich fordern Nachfahren der Überlebenden eine Entschuldigung der Bundesregierung. Deutsche trügen als wichtigste Verbündete des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg eine Mitschuld am "Völkermord".

Ergün Ayik, Vorsitzender der Kirchenstiftung im Hof der St.-Giragos-Kirche in Diyarbakir.

Ergün Ayik, Vorsitzender der Kirchenstiftung im Hof der St.-Giragos-Kirche in Diyarbakir.

Foto: dpa, sun bsc

Das sagte Ergün Ayik der Deutschen Presse-Agentur. Ayik ist Vorsitzender der Stiftung der St.-Giragos-Kirche in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir, dem größten armenisch-christlichen Gotteshaus im Nahen Osten. "Aus meiner Sicht sind auch Deutsche verantwortlich", sagte Ayik. Dass die Bundesregierung die Massaker an den Armeniern bis heute nicht als Genozid anerkenne, sei für ihn dabei zweitrangig. "Eine Entschuldigung wäre genug."

Die Aufnahme aus dem Jahr 1915 zeigt erhängte Armenier und posierende türkische Soldaten.

Die Aufnahme aus dem Jahr 1915 zeigt erhängte Armenier und posierende türkische Soldaten.

Foto: AFP

Armenien und viele andere Staaten sprechen von Völkermord, die Türkei lehnt das ab. Auch Deutschland vermeidet das Wort Genozid im Zusammenhang mit den Gräueltaten, die vor hundert Jahren an den Armeniern im Osmanischen Reich verübt wurden - und die nach armenischen Angaben 1,5 Millionen Menschen das Leben kosteten.
Welche Rolle Deutschland dabei gespielt hat, zeichnet der Autor und Journalist Jürgen Gottschlich in einem im Februar erschienenen Buch minuziös nach. Gottschlichs Vorwurf ist zugleich der Titel seines packend zu lesenden Buches: "Beihilfe zum Völkermord".

Deutsche Offiziere führen osmanische Soldaten

Im Jahr 1914 drängt das Deutsche Reich das bereits geschwächte Osmanische Reich in den Ersten Weltkrieg. Heute ist kaum noch bekannt, wie eng Deutsche und Türken verbündet gewesen sind. Als Chef der deutschen Militärmission wird General Otto Liman von Sanders 1914 nach Konstantinopel (heute Istanbul) entsandt. Sein Stellvertreter, Fritz Bronsart von Schellendorf, wird Generalstabschef des Osmanischen Heeres. Zahlreiche weitere deutsche Offiziere übernehmen Führungsaufgaben in den osmanischen Streitkräften. Ein zeitgenössisches Propagandabild mit dem Titel "Bündnistreue" zeigt den Handschlag eines deutschen und eines türkischen Soldaten.

Die Armenier im Osmanischen Reich sehen sich bald dem Vorwurf ausgesetzt, die Kriegsgegner zu unterstützen. Die Festnahme und anschließende Verbannung armenischer Führungspersönlichkeiten in Konstantinopel am 24. April 1915 markiert den Beginn der Gräueltaten gegen die christliche Minderheit. Zwar gibt es deutsche Offiziere und Diplomaten, die Armenier (meist erfolglos) zu schützen versuchen. Aus den von Gottschlich ausgewerteten Dokumenten geht aber eindeutig hervor, dass viele Deutsche nicht nur von den Massakern wissen, sondern dass einige sie sogar befürworten. Selbst Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg weiß Bescheid - und unternimmt nichts.

"Die Armenier werden ausgerottet"

Der deutsche Marineattaché Hans Humann schreibt in einem Vermerk im Juni 1915: "Die Armenier werden - aus Anlass ihrer Verschwörung mit den Russen! - jetzt mehr oder weniger ausgerottet. Das ist hart, aber nützlich." Im Monat darauf notiert der deutsche Chef der türkischen Flotte, Admiral Wilhelm Souchon, in seinem Tagebuch: "Für die Türkei würde es eine Erlösung sein, wenn sie den letzten Armenier umgebracht hat, sie würde dann die staatsfeindlichen Blutsauger los sein."

Der einstige Operationschef des türkischen Heeres, Otto von Feldmann, räumt 1921 - also lange nach Kriegsende - in einem Zeitungsbeitrag ein: "Es soll und darf aber nicht geleugnet werden, dass auch deutsche Offiziere - und ich selbst gehöre zu diesen - gezwungen waren, ihren Rat dahin zu geben, zu bestimmten Zeiten gewisse Gebiete im Rücken der Armee von Armeniern frei zu machen."

Nachdem im Oktober 1915 ein Deportationsbeschluss von einem deutschen Offizier mitunterzeichnet wird, schreibt der Chef der Bagdadbahn, Franz Günther, an Staatssekretär Gottlieb von Jagow im Auswärtigen Amt: "Denn die Unterschrift eines Mitglieds der deutschen Militärmission beweist, dass die Deutschen nicht nur nichts getan haben, um die Verfolgung der Armenier zu verhindern, sondern stattdessen verschiedene Befehle dazu von ihnen ausgegangen sind und unterzeichnet wurden."

Vorstöße von Diplomaten, mäßigend auf das Osmanische Reich einzuwirken, bügelt Reichskanzler von Bethmann Hollweg persönlich ab. Ans Auswärtige Amt schreibt er Ende 1915: "Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht."

Gottschlich, der als Korrespondent für die "tageszeitung" ("taz") aus Istanbul berichtet, hat jahrelang zur Vertreibung der Armenier recherchiert - unter schwierigen Bedingungen, denn das Thema ist in der Türkei immer noch mit Tabus behaftet. Er nennt die deutsche Rolle dabei "das dunkelste deutsche Kapitel im Ersten Weltkrieg". Und der Autor bemängelt: "Dass vor dem Genozid an den europäischen Juden im 20. Jahrhundert schon einmal ein Menschheitsverbrechen stattgefunden hatte, an dem deutsche Soldaten und Diplomaten mittelbar beteiligt waren, ist bis heute vielen Deutschen kaum bewusst."

(dpa)
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