Überheblich, verbittert und im Exil gescheitert Boris Beresowski - Tod eines Strippenziehers

Moskau/London · Schlabberiger Rollkragenpullover, zitternde Hände, unsteter Blick. Der Mann, der dem russischen Reporter Ilja Schegulow in einer lauten Londoner Hotelbar zum Interview gegenübersaß, machte einen fertigen Eindruck. "Ich habe den Sinn des Lebens verloren", gestand Boris Beresowski (67).

Wenige Stunden später war Russlands einst mächtigster Oligarch tot. Man fand ihn im Bad seines Hauses im britischen Ascot. Sein Anwalt spricht von Selbstmord, seine Angehörigen von Herzversagen. Die britische Polizei nannte die Todesursache ungeklärt. In der Nacht untersuchten Spezialisten für atomare, biologische und chemische Gefahrenabwehr das Haus des Oligarchen. Sie gaben später Entwarnung.

Putin betrachtete er als Marionette

Kaum jemand symbolisiert die 90er Jahre in Russland so sehr wie Boris Beresowski. Milliardenschwerer Neureicher, dämonischer Strippenzieher, Intimus von Präsident Boris Jelzin. Am Ende wollte er mehr sein als nur die graue Eminenz, wähnte sich in der Rolle des allmächtigen Demiurgen. Das wurde ihm zum Verhängnis.

Als Sohn eines jüdisch-russischen Akademikerpaars kämpfte Boris Beresowski in der Sowjetgesellschaft mit vielen Hindernissen. Nach dem Studium der Elektrotechnik und mathematischen Mechanik musste er bis zur Habilitierung lange warten. Seine Stunde schlug, als die Sowjetunion zerfiel. Er baute die Autohandelkette Logowaz auf und verkaufte Ladas. Auf der Höhe seiner Macht umfasste Beresowskis Imperium zwei Fernsehsender, drei Tageszeitungen, den Ölkonzern "Sibneft" und Anteile an der Fluggesellschaft Aeroflot. Er saß in Russlands Nationalem Sicherheitsrat und war Koordinator für die GUS-Staaten.

Schnell wurde er zur Unperson

Mehrfach hat sich Beresowski damit gebrüstet, bei der Auswahl Wladimir Putins als Nachfolger Jelzin eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Der Oligarch hielt den einstigen KGB-Agenten für leicht manipulierbar. "Politiker sind bezahlte Gehilfen der Unternehmer", sagte er verächtlich.

Doch bereits im Herbst 2000 begann Beresowskis Zerwürfnis mit dem neuen Kremlherrn. Putin gefiel es nicht, dass die Oligarchen in der Politik mitmischten. Gegen Beresowski wurden Strafverfahren eingeleitet, er floh nach London. Für Russlands Mächtige wurde er schnell zur Unperson. Nach dem Oligarchen gefragt, sagt Putin im Juni 2001: "Beresowski — wer ist das?"

Opposition aus dem Exil

In Großbritannien hatte Beresowski, der ein geschätztes Riesenvermögen von bis zu drei Milliarden Dollar mitbrachte, keine Probleme damit, politisches Asyl und einen britischen Pass zu bekommen. Der Erzfeind des Präsidenten Wladimir Putin begann 2001, aus der sicheren Ferne die oppositionelle Partei "Liberales Russland" zu finanzieren.

Die Briten ließen sich von der regen politischen Aktivität des Flüchtlings nicht stören. So wurde der ehemalige "Königsmacher" im Kreml schnell zu einem Magneten, der viele Gegner des neuen Systems in Russland nach Großbritannien anzog. Der verärgerte russische Staat forderte mehrmals seine Auslieferung. Doch die Regierung in London ließ den Kreml abblitzen mit dem Hinweis, sie könne nicht die Asyl-Entscheidung der Justiz widerrufen oder zumindest die Richter politisch beeinflussen.

Verbindungen zum Polonium-Fall Litwinenko

Beresowski erlangte größere Bekanntheit im Vereinigten Königreich nach dem gewaltsamen Tod von Alexander Litwinenko Ende 2006. Der ehemalige KGB-Agent starb in London am radioaktiven Gift Polonium-2010, er hatte zuvor angeblich für Beresowski gearbeitet (und den Geheimdienst MI6, wie man jetzt weiß). Moskau machte Putins Feind für die Tragödie verantwortlich, er aber sah die Schuldigen im Kreml.

2011 sorgte Beresowki ein letztes Mal für Schlagzeilen, er seinen ehemaligen Geschäftspartner Roman Abramowitsch vor ein Londoner Gericht zerrte und Schadensersatz in astronomischer Höhe von 6,5 Milliarden Dollar forderte. Beresowski warf Abramowitsch vor, ihn zum Verkauf seines Anteils am russischen Ölkonzern Sibneft zu einem niedrigen Preis gezwungen zu haben. Doch die zuständige Richterin glaubte ihm nicht und nannte ihn einen "unehrlichen Zeugen".

Der Milliardär geriet in Finanznöte

Mit der öffentlichen Schmach kam eine hohe Rechnung für Prozesskosten von etwa 70 Millionen Pfund. Beresowski wurde außerdem 2013 dazu verurteilt, seiner Ex-Partnerin Jelena Gorbunowa mehrere Millionen Pfund nachzuzahlen. So akut waren am Ende die finanziellen Probleme des Oligarchen, dass er vor einigen Tagen ein Bild von Andy Warhol aus seiner Villa für 50 000 Pfund verkaufen musste. Laut den britischen Medien ließ er sich Ende 2012 wegen schwerer Depression behandeln.

Dieser Eindruck verstärkt sich durch Aussagen in dem Interview, das Beresowski kurz vor seinem Tod dem Journalisten Ilja Schegulow vom russischen Magazin "Forbes" gegeben hat. "Zurück nach Russland, nichts will ich mehr als das", jammert Beresowski. Und beklagt selbstgerecht, sogar der inhaftierte Ex-Yukos-Eigentümer Michail Chodorkowski habe nicht so viele Enttäuschungen erlebt wie er in seinem Londoner Exil.

Er soll noch einen Brief an Putin verfasst haben

Gegenüber seinem Erzfeind Putin zeigte sich Beresowski in seinen letzten Monaten offenbar reumütig. Anderthalb Stunden nach Bekanntgabe von Beresowskis Tod meldete sich Putins Sprecher Dmitri Peskow zu Wort. Vor etwa zwei Monaten habe Beresowski dem Kremlchef einen Brief geschrieben. "Er gab zu, dass er viele Fehler begangen habe, bat Putin dafür um Verzeihung und wandte sich an ihm mit der Bitte, wieder in die Heimat zurückkehren zu können", behauptete Peskow.

Der Inhalt dieses Briefes, den er "persönlich gesehen habe", sei aber vertraulich, weshalb das Schreiben nicht veröffentlich werden könne. Auf die Frage, wie Putin auf den Tod Beresowskis reagiert habe, sagte Peskow, die Nachricht vom Ableben eines Menschen sei nie Anlass zu positiven Emotionen. Die russische Staatsanwaltschaft gab mittlerweile bekannt, dass sie alle Ermittlungen gegen Beresowski eingestellt hat.

(pst)
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