Analyse zur Unabhängigkeit Katalonien hat kein Recht auf Sezession

Barcelona · Die Abspaltung Kataloniens lässt sich nicht aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ableiten. Allerdings sollte Madrid wieder den Dialog mit der spaltungswilligen Regionalregierung in Barcelona suchen.

 Gemischte Gefühle: Befürworter der Unabhängigkeit am Dienstagabend in Barcelona.

Gemischte Gefühle: Befürworter der Unabhängigkeit am Dienstagabend in Barcelona.

Foto: ap, PG

Als Spanien 2010 erstmals Fußballweltmeister wurde, schien das Land in Begeisterung vereint. Die katalanische Sekundarstufenlehrerin Guadalupe Marti teilte diese Euphorie nur mittelbar. "Ich freue mich, dass unser Nachbarland Spanien gewonnen hat", meinte die Pädagogin durchaus anerkennend. Dass rund die Hälfte der damaligen Siegermannschaft aus Katalonien stammte, änderte ihr Urteil nicht.

Wenn also die Identifikation mit der Nationalelf ein Volk bestimmt, spricht viel für ein unabhängiges Katalonien. Denn die Lehrerin stand und steht mit dieser Meinung keinesfalls allein. In der Präambel des Autonomiestatuts ist von der katalanischen Nation die Rede. Kann daraus das Regionalparlament in Barcelona die Abspaltung von Spanien völkerrechtlich ableiten - gestützt auf ein verfassungsrechtlich unzulässiges Referendum?

Ein klares Nein

Die Antwort der meisten internationalen Rechtsgelehrten darauf ist ein klares Nein. "Das Völkerrecht gibt Regionen eines Staates weder ein Recht dazu, sich abzuspalten, noch ein Recht dazu, entgegen der nationalen Rechtslage eine Volksabstimmung abzuhalten", meint der Bonner Staatsrechtler Stefan Talmon in einem Interview mit dem Magazin "Cicero". Das gelte auch, wenn sich die Katalanen als ein Volk empfänden. Tatsächlich sieht das Völkerrecht nur die einzelnen Staaten als entscheidende Akteure an, die zueinander in rechtliche Beziehungen treten.

"Das Völkerrecht ist primär eine Rechtsordnung zwischen Staaten", erläutert der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, der auch im Deutschen Ethikrat sitzt. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, wie es in Artikel eins der UN-Charta majestätisch formuliert ist, bezieht sich vor allem auf die ehemaligen Kolonialvölker, die damit ein Recht auf Staatlichkeit erhielten. "Die Völker der Staaten haben ihr Recht auf Selbstbestimmung insofern ausgeübt, dass sie sich als Staaten konstituiert haben", bemerkt dazu Staatsrechtsprofessor Talmon.

Von diesen Grundsätzen kann nach Meinung der meisten Experten nur dann abgewichen werden, wenn in einem Vielvölkerstaat eine bestimmte ethnische Gruppe eindeutig unterdrückt wird. Das behaupten zwar die Katalanen hinsichtlich ihrer Kultur, Sprache und Wirtschaft. Doch hier finden sie nicht einmal die Unterstützung auch nur einer namhaften Menschenrechtsgruppe. Die Region verfügt über eine weitgehende Autonomie. Katalanisch ist als eine von zwei Amtssprachen voll anerkannt. Und nach repressiven Maßnahmen der spanischen Zentralregierung fahndet man in der Vergangenheit vergebens.

"Subjektive Gefühle geben keinen Rechtsanspruch auf ein Referendum oder gar eine Sezession", findet Hochschullehrer Talmon. Und auch die Kritik am harten Polizeieinsatz der nationalen Polizeitruppe Guardia Civil lässt er nicht gelten. Schließlich habe es sich beim Referendum um einen "zwar nicht gewaltsamen, aber doch um einen Aufstand gegen den spanischen Staat gehandelt". In einem solchen Fall dürfe auch die Polizei zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit eingesetzt werden.

Klare Verfassungslage in Spanien

Damit stützt das Völkerrecht die Verfassungslage in Spanien, die ebenfalls eine Sezession verbietet. Die spanische Verfassung wurde 1978 vom erstmals seit der Franco-Diktatur demokratisch gewählten Abgeordnetenhaus und dem Senat verabschiedet. Im gleichen Jahr stimmte die Bevölkerung dem neuen staatlichen Rahmen zu, in Katalonien sogar mit großer Mehrheit.

Doch so klar die verfassungs- und völkerrechtliche Frage ist, auch die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter können für ihre Sache Argumente ins Feld führen. Denn das Völkerrecht verbietet nicht ausdrücklich eine Abspaltung. Eine legitime Sezession oder Trennung, wie sie etwa Tschechien und die Slowakei 1993 vollzogen, wäre auch im Falle Kataloniens denkbar. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker deutete erst vor ein paar Tagen an, er könne sich eine Abspaltung vorstellen, wenn sie "juristisch korrekt" abliefe. Das würde allerdings nicht nur das Einverständnis Madrids voraussetzen, sondern eine ganz neue Verfassung. Daran ist gegenwärtig nicht zu denken.

Eine zweite völkerrechtliche Spur zur Unabhängigkeit führt über ein bemerkenswertes Urteil des kanadischen höchsten Gerichts aus dem Jahr 1998. Auch da verneinten die obersten Richter der Provinz Québec den Anspruch auf Abspaltung. Zugleich verpflichtete das Gericht die Zentralregierung in Ottawa, in einen offenen Dialog mit den Vertretern der abtrünnigen Region einzutreten. Voraussetzung: Eine klare Bevölkerungsmehrheit hält an der Unabhängigkeit fest. Insofern wäre auch eine Volksbefragung in Katalonien möglich. Bei einem klaren Votum, das rechtlich nicht bindend ist, müssten die Regierungen in Madrid und Barcelona eine Lösung finden. Dabei kann sich das katalanische Regionalkabinett nicht darauf verlassen, dass wirklich eine Mehrheit zwischen Pyrenäen und Ebro sich für die Unabhängigkeit ausspricht.

Beispiel USA

Dummerweise ist das Verhältnis zwischen der spanischen Zentrale und der katalanischen Regionalführung mehr als vergiftet. Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte noch als Oppositionsführer über das Verfassungsgericht bereits beschlossene weiterreichende Autonomierechte für die Katalanen zu Fall gebracht. Etwa bei den Finanzen sind jetzt die gleichfalls sezessionistisch eingestellten Basken bessergestellt. Auch wird man Katalonien kaum halten können, wenn der Wunsch nach Unabhängigkeit bei einer starken Mehrheit dauerhaft anhält. Eine gewaltsame Lösung des Problems erscheint den meisten Völkerrechtlern jedenfalls nicht angebracht. Auch die amerikanischen Provinzen des Britischen Empires wären heute noch Kolonien, wenn sie nicht das Recht in ihre eigenen Hände genommen hätten.

(kes)
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