Prozess in Istanbul begonnen "Cumhuriyet"-Journalisten drohen bis zu 43 Jahre Haft

Istanbul · Nach mehr als 250 Tage in Haft hat in Istanbul der Prozess gegen zahlreiche Mitarbeiter der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet" begonnen. Der Auftakt am Montag in Istanbul wurde von scharfer internationaler Kritik begleitet.

Ein Aktivist hält in Istanbul eine Ausgabe der "Cumhuriyet" vom 24. Juli in Händen.

Ein Aktivist hält in Istanbul eine Ausgabe der "Cumhuriyet" vom 24. Juli in Händen.

Foto: dpa, LP lis pat

Reporter ohne Grenzen (ROG) nannte die Vorwürfe gegen die 17 "Cumhuriyet"-Angeklagten "absurd". Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) forderte ein sofortiges Ende des Verfahrens wegen Unterstützung von Terrororganisationen und die Freilassung der Inhaftierten.

Die ersten Angeklagten, die am Montag aussagten, wiesen jede Schuld zurück. Der inhaftierte Journalist Kadri Gürsel, der dem Vorstand des International Press Insitute (IPI) angehört, nannte die Terrorvorwürfe "erfunden". Gürsel warf der Staatsanwaltschaft vor: "Sie können keinen einzigen echten Beweis finden." Ihm würden unter anderem Kontakte zu Terrorverdächtigen vorgeworfen, die er entweder nicht gehabt habe oder die im Zusammenhang mit seiner Arbeit gestanden hätten. Er fügte hinzu: "Journalismus ist kein Verbrechen."

Den Angeklagten drohen bis zu 43 Jahre Haft

Angeklagt sind insgesamt 17 "Cumhuriyet"-Mitarbeiter: Elf der zwölf Mitarbeiter in Untersuchungshaft, fünf weitere Mitarbeiter der Zeitung, die noch auf freiem Fuß sind, sowie Ex-Chefredakteur Can Dündar. Dündar lebt im Exil in Deutschland. Vor Gericht müssen sich unter anderem der derzeitige Chefredakteur Murat Sabuncu, "Cumhuriyet"-Herausgeber Akin Atalay und der Investigativjournalist Ahmet Sik verantworten. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (ROG) drohen den Angeklagten bis zu 43 Jahre Haft.

Der Beauftragte für Medienfreiheit OSZE, Harlem Désir, forderte die Türkei auf, "alle Anschuldigungen fallenzulassen, alle Journalisten, die wegen ihrer Arbeit inhaftiert worden, freizulassen, und dringend benötigte Reformen einzuleiten, um die Medienfreiheit im Land zu schützen". ROG-Geschäftsführer Christian Mihr sagte der Deutschen Presse-Agentur, das Verfahren richte sich nicht nur gegen die Angeklagten und die Zeitung, sondern gegen die Pressefreiheit.

Mihr fügte hinzu, die Beschuldigung, Terrororganisationen zu unterstützen, sei inzwischen "der Standardvorwurf gegen alle, die unabhängig berichten". Kritische Journalisten stünden unter enormem Druck, "weil jeder damit rechnen muss, morgen der Nächste zu sein, der im Gefängnis landet aufgrund absurder und nicht zu haltender Vorwürfe". Mihr gehört zu mehreren internationalen Beobachtern des Prozesses. Er beteiligte sich zuvor mit einigen Dutzend Unterstützern der Angeklagten an einer Demonstration vor dem Gerichtsgebäude.

"Es geht darum, Angst und Schrecken zu verbreiten"

Der SPD-Europaabgeordnete Arne Lietz forderte am Rande des Prozesses die Freilassung aller inhaftierten Journalisten, Menschenrechtler und Politiker in der Türkei. Seine Grünen-Kollegin Rebecca Harms sprach von einer "Massenverfolgung" von Kritikern von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. "Es geht darum, Angst und Schrecken zu verbreiten", sagte Harms der dpa. "Man möchte die Leute demotivieren, die Leute davon abhalten, sich Erdogans Politik zu widersetzen. Die Verfolgung der Presse spielt dabei eine ganz besondere Rolle."

Die Anwälte des in der Türkei inhaftierten deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner und von dessen schwedischem Kollegen Ali Gharavi legten unterdessen Einspruch gegen die Untersuchungshaft ein. Anwalt Murat Boduroglu vom zuständigen Kanzleiteam sagte der dpa, er rechne mit einer Entscheidung des Istanbuler Gerichts spätestens an diesem Dienstag. Erstmals hätten am Montag Vertreter des deutschen und des schwedischen Generalkonsulats Zugang zu Steudtner und Gharavi in der U-Haft bekommen. Das wurde dpa aus diplomatischen Kreisen bestätigt.

Steudtner, Gharavi und acht türkische Menschenrechtler waren am 5.
Juli festgenommen worden. Acht der insgesamt zehn Beschuldigten sitzen in Untersuchungshaft, darunter neben den beiden Ausländern auch Amnesty-Landesdirektorin Idil Eser. Der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, kündigte an, die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini aufzufordern, sich beim türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu für die Freilassung inhaftierter Menschenrechtler einzusetzen. Unter ihnen ist neben Amnesty-Direktorin Eser auch Anmesty-Vorstand Taner Kilic. Cavusoglu und EU-Minister Ömer Celik wollen am Dienstag nach Brüssel reisen.

(felt/dpa/AFP)
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