Affäre um Akw Biblis Norbert Röttgen zeigt mit dem Finger auf Hessen

Wiesbaden · Es waren damals sehr hektische Tage in Berlin: Vor genau vier Jahren vollzieht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Atompolitik eine dramatische Kehrtwende. Wenige Tage nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima nimmt der Bund im Konsens mit den Ländern die sieben ältesten Atommeiler aus Sicherheitsgründen vom Netz - zunächst für drei Monate bis zum endgültigen Ausstieg.

 Norbert Röttgen sagt vor dem Ausschuss zur Biblis-Affäre aus.

Norbert Röttgen sagt vor dem Ausschuss zur Biblis-Affäre aus.

Foto: dpa, brx cul

Doch bei der Umsetzung des Moratoriums, das mit der "Gefahrenabwehr" im Atomgesetz begründet wurde, machten die Länder im März 2011 handwerkliche Fehler. So wurde auf die Anhörung der AKW-Betreiber vor der Stilllegungsverfügung verzichtet. RWE als Betreiber des südhessischen Atomkraftwerks Biblis hat deshalb mit Erfolg gegen das Land geklagt - der Konzern will 235 Millionen Euro Schadenersatz. Jetzt streiten der Bund und Hessen über die Verantwortung. Ein Präzedenzfall. Denn in anderen Ländern laufen ähnliche Prozesse.

Als erster Landtag hat nun der hessische mit einem Untersuchungsausschuss den Versuch unternommen, die komplexe Sache aufzuklären. Als bislang prominentester Zeuge aus der Politik vor dem Gremium gab am Freitag Ex-Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) Hessen die Verantwortung am juristischen Desaster. Die Atomaufsicht sei Sache der Länder. Es habe damals weder eine Anweisung des Bundes noch eine "unterschriftsreife Stilllegungsverfügung" gegeben, sagt Röttgen - und schiebt den Ländern den Schwarzen Peter zu.

"Die Länder hätten ja auch Nein sagen können"

Der eloquente Jurist, trotz Rausschmiss aus dem Ministerium im Jahr 2012 immer noch ein wichtiger Mann in der Union, treibt seine Argumentation noch weiter. Die Länder hätten sich dem "Wunsch" der Bundesregierung ja auch verweigern können, erklärt er. Er habe Hessens damaliger CDU-Umweltministerin Lucia Puttrich sogar gesagt, dass sie bei der Biblis-Verfügung eigenverantwortlich handle.

Im Kampf Hessens gegen den Bund kommt der schwarz-grünen Landesregierung am Freitag ausgerechnet ein ehemaliger Untergebener Röttgens zu Hilfe. Gerrit Niehaus war im März 2011 als Arbeitsgruppenleiter im Bundesumweltministerium für die Rechtsaufsicht der AKWs zuständig. Es habe zwar keine Weisung des Bundes gegeben, berichtet er dem Ausschuss. Er habe den Ländern jedoch ein neunseitiges Papier zur Umsetzung der Stilllegung geben wollen - mit der Empfehlung, auch die Betreiber anzuhören.

Doch der Expertenrat wanderte in den Papierkorb. "Wir wurden regelrecht ausgeschaltet", kritisiert Niehaus die Ministeriumsführung. Die damals von Bund und Ländern beschlossene Stilllegung der sieben Alt-AKWs bezeichnet er als "hochgradig gewagt", eine "juristische Gratwanderung". Allen sei dies damals bewusst gewesen, sagt Niehaus, der heute im Stuttgarter Umweltministerium arbeitet. Deshalb habe er den Ländern eine genaue Begründung liefern wollen.

Diese hätte der zuständige Fachbeamte im Wiesbadener Umweltministerium, Guntram Finke, auch allzu gerne gehabt. Er hatte bei der Biblis-Verfügung erhebliche Bauchschmerzen, wie er vor dem Ausschuss bereits im November einräumte.

Niehaus' Vorgesetzter in Berlin war damals Gerald Hennenhöfer. Er hatte im Februar im Ausschuss gesagt, der Bund habe den Ländern lediglich eine Formulierungshilfe geschickt. Jetzt werde der Versuch unternommen, "dem Bund den toten Vogel in die Tasche zu schieben". Gut möglich, dass im Falle einer erfolgreichen Schadensersatzklage von RWE am Ende die Gerichte entscheiden müssen, in welche Tasche das Tier nun wirklich gehört.

(dpa)
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