Kommentar zum Dreikönigstreffen der Liberalen Lindners neue FDP

Meinung | Stuttgart · War das die Neugeburt der FDP? Jedenfalls hat die zentrale Rede von Parteichef Christian Lindner beim Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart reichlich Potenzial erkennen lassen. Und den Mut dazu, neue Wege zu gehen.

 Christian Lindner winkt in Stuttgart im Opernhaus beim traditionellen Dreikönigstreffen der Partei nach seiner Rede ins Publikum.

Christian Lindner winkt in Stuttgart im Opernhaus beim traditionellen Dreikönigstreffen der Partei nach seiner Rede ins Publikum.

Foto: dpa, bwe htf

Den Versuch zu einem thematischen Neustart unterstreicht die FDP in Stuttgart auch optisch. Mit einem neuen Logo, das zum klassischen Blau-Gelb auch das Magenta hinzufügt. Beziehungsreich tragen viele Spitzenliberale die Farbe bereits mit ihren Krawatten durch den Saal. Aufgeräumt hat Lindner auch auf der Bühne. Kein Rednerpult, keine starre Anordnung. Im Halbrund sitzen drei Frauen und drei Männer auf weißen Sesseln im Halbkreis um den jeweiligen Redner, der im Stehen die vollkommen gefüllte Staatsoper aufzumischen versucht.

Dieser optische Versuch macht zugleich einen dicken Vorbehalt gegen die Liberalen noch deutlicher. Da sitzen zwar die Spitzenkandidatinnen für die Wahlen in Hamburg und Bremen, Katja Suding und Lencke Steiner, sowie Generalsekretärin Nicola Beer mit auf dem Podium, aber nur die Herren ergreifen zunächst das Wort, die Damen müssen erst einmal gut zwei Stunden warten, bis sie ein bisschen mit talken dürfen. Lindners Vorredner aus Baden-Württemberg, Landesparteichef Michael Theurer und Landtagsfraktionschef Hans-Wilhelm Rülke, greifen ordentlich Zeit ab, befassen sich erst einmal eine geschlagene Stunde lang mit den regionalen Verhältnissen und arbeiten sich an der grün-roten Landesregierung ordentlich ab. Zitiert wird dabei Heinz Erhardt und nicht Ludwig Erhard, der Vater der Komik, nicht der Vater der freien Marktwirtschaft. Ist das die neue FDP?

Lindner geht vielleicht deshalb in freier Rede das gerade wieder erlebte Ritual frontal an: "Wer nur die Schwächen der Anderen betont, scheint sich seiner eigenen Stärken nicht sicher zu sein", stellt er heraus und markiert selbst einen neuen Stil, indem er die Verdienste der Union, der SPD und sogar der Grünen würdigt, die früher Lieblingsgegner der FDP waren. Das deutet auch auf eine wachsende Sympathie für Ampelbündnisse aus SPD, FDP und Grünen.

Lindner vermittelt neues Selbstbewusstsein

73 Minuten lang vermittelt Lindner seiner Partei neues Selbstbewusstsein. Radikal verabschiedet er sich von Fehlern der Vergangenheit, zu denen er sich auch selbst bekennt — etwa als Teil der FDP-Führungsspitze 2010 hingenommen zu haben, dass Koalitionspartnerin Angela Merkel die große Steuerreform von der Tagesordnung schob. Er "beschwört", dass ihm das in seinem "politischen Leben nicht noch einmal passieren" werde. Es ist der Versuch, mit einem "nie wieder" den beim Wähler ruinierten Ruf wiederherzustellen.

Lindner will vor allem neuen Mut verbreiten — und ist selbst mit bemerkenswertem Mut unterwegs, indem er sich auch um riskante Themen nicht herummogelt. So ist er bereit, heilige Kühe der FDP zu schlachten: Vehement stellt er den Bildungsföderalismus in Frage und sieht Schule und Ausbildung als gesamtstaatliche Aufgabe. Auf FDP-Landeskultusminister muss er dabei keine Rücksicht nehmen — es gibt keine mehr. Bemerkenswert ist auch seine Positionierung im Streit zwischen Taxigewerbe und Uber-Herausforderer. Ausdrücklich erwähnt er, dass man ihm geraten habe, dieses Thema nicht anzuschneiden, da die Taxifahrer einen gut organisierten Mittelstand darstellten. Lindner tut es trotzdem — möglicherweise um auch das Klischee der Klientelpartei loszuwerden. Und er beschwört für die FDP den "fairen Wettbewerb zwischen Etablierten und Newcomern" und macht klar: "Wir können keine Mauern um einzelne Branchen bauen". Auch Liberale unter den Kommunalpolitikern könnten bei diesen Sätzen Schnappatmung bekommen. Lindner wagt es dennoch.

An anderen Stellen seiner Rede zum künftigen FDP-Profil wird er noch nachschleifen müssen. Etwa, wenn er die "entfesselten Gewalten des Kapitalmarktes" angreift, die den Einzelnen kleiner machten, und dem die FDP-Programmatik entgegenstellt, die den Einzelnen größer mache und nicht den Staat. Wer denn sonst als der Staat, soll denn den "entfesselten Gewalten" Paroli bieten? Der freie Einzelne?

Lindner zeichnet sich seit langem dadurch aus, die Dinge prägnant und witzig auf den Punkt zu bringen. Die Anhänger nehmen es dankbar auf und werden sicher weiter tragen, wie die verkrustete Schulpolitik in einprägsame Bilder gebracht werden kann: Wie die Schüler in den Pausen auf den Schulhöfen mit ihren Apps auf ihren Smartphones in der Zukunft leben und dann wieder in die Klassenzimmer und damit "in die Kreidezeit" gehen. Insofern scheint diese FDP den Vorsitzenden zu haben, den sie braucht, um aus der Versenkung wieder herauszukommen. Doch bis dahin ist der Weg noch lang, und eine Garantie, dass es mit Lindner klappt, gibt es auch nicht.

(may)
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