Haushalt Wolfgang Schäuble fürchtet die Schuldenbremse

Berlin · Wegen steigender Flüchtlingsausgaben ist gar nicht so sicher, ob der Finanzminister im Wahljahr 2017 die Schuldenregel der Verfassung einhalten kann.

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Foto: dpa/Gregor Fischer

Wolfgang Schäuble war zwar der erste Bundesfinanzminister seit Franz Josef Strauß anno 1969, der einen Haushalt ohne neue Schulden abschließen konnte. Das war 2014, bevor die Flüchtlingskrise ihren Lauf nahm. Nun könnte Schäuble wegen ebendieser aber auch der erste Finanzminister sein, der die Schuldenregel des Grundgesetzes bricht. Und zwar ausgerechnet 2017, im Jahr der Bundestagswahl.

Noch sieht zwar alles gut aus für Schäuble. Die Steuereinnahmen laufen, die Konjunktur trotzt weltwirtschaftlichen Erschütterungen, die Wirtschaft will weiter neue Jobs schaffen. 2015 konnte Schäuble sogar einen Überschuss von 11,8 Milliarden Euro erzielen, die er als Rücklage verbucht hat. Doch davon ist im Etat 2016 die eine Hälfte schon verplant, die andere dürfte am Jahresende verbraucht sein. Weil an allen Ecken die Flüchtlingsausgaben des Bundes steigen: in der Türkei, in den Flüchtlingslagern, in Griechenland, in den Bundesländern und beim Bund selbst, etwa wegen höherer Hartz-IV-Ausgaben.

Kein Dogma, aber ein großes Risiko

Schäuble wird also ohne neue Rücklage ins Jahr 2017 gehen, für das die Haushaltsberatungen gerade begonnen haben. Die "schwarze Null" — ein Defizit von null — zu halten, ist für Schäuble zwar kein Dogma. Er ginge aber ein großes Risiko ein, würde er sie aufgeben. Denn in seinem Ministerium und in der Union gibt es angesichts der Herausforderungen eine neue Sorge: Der Bund könnte 2017 sogar die Schuldenbremse der Verfassung verfehlen, weil seine Neuverschuldung schnell über die zulässige Summe hinausschießen könnte. Würde sich ein verfassungswidriger Haushalt vor der Wahl 2017 abzeichnen, wäre das für die Union ein Fiasko.

Bislang noch halten sich viele in der Koalition an die einfache Regel, dass der Bund die Schuldenregel auch dann einhalten würde, wenn er die jährliche Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzen würde. Schäuble bleibe mithin ein jährlicher Verschuldungsspielraum von zehn Milliarden Euro, meinen viele.

Doch die Regel ist komplizierter: Von der Summe müssen noch Defizite der Sondervermögen, etwa des Fluthilfe-Aufbaufonds, abgezogen werden. 2016 bleibt Schäuble nach dem geltenden Haushaltsgesetz nur eine Verschuldungsmöglichkeit von 4,4 Milliarden Euro. Wie hoch sie 2017 sein wird, ist noch offen. Doch im Finanzministerium geht man davon aus, dass sie auch 2017 deutlich unter zehn Milliarden liegt.

Rehberg: "Kein Selbstläufer"

"Die Schuldenbremse 2017 einzuhalten, ist kein Selbstläufer. Unser Verschuldungsspielraum ist 2017 viel geringer, als viele in der Koalition annehmen, insbesondere in der SPD", sagt Eckhardt Rehberg, der Chefsprecher der Unionshaushaltspolitiker. "Dass die Schuldenbremse dem Bund zehn Milliarden Euro neue Schulden erlauben würde, ist nicht in Stein gemeißelt."

Klar ist, dass die Union so die Ausgabenwünsche des Koalitionspartners und der Bundesländer abwehren möchte. "Milliarden für eine Elektro-Auto-Kaufprämie oder Ein-Euro-Jobs für Zehntausende Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose — das würde der Haushalt 2017 nicht aushalten", sagt Rehberg. "Auch für das 60-Milliarden-Investitionsprogramm und für das Fünf-Milliarden-Integrationspaket der SPD sehe ich keinen Spielraum." Allerdings gibt es auch in der Union vielfältige zusätzliche Ausgabenforderungen — vor allem aus dem Innen- und dem Verteidigungsressort.

Könnte Schäuble die Ausgabendynamik bei nur geringem Verschuldungsspielraum nicht stoppen, bliebe ihm nur, die Steuern zu erhöhen. Das hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für diese Legislaturperiode ausgeschlossen. Doch Schäuble selbst ignorierte das: Um steigende EU-Ausgaben in der Flüchtlingskrise zu finanzieren, hatte er eine EU-weite Erhöhung der Benzinsteuern vorgeschlagen. Schon im letzten Jahr plädierte er dafür, in der nächsten Legislaturperiode die Abgeltungssteuer abzuschaffen und Kapitalerträge wieder mit dem individuellen Einkommensteuersatz zu besteuern. Die Erbschaftsteuerreform wird ohnehin auf Mehreinnahmen hinauslaufen.

Länder wollen, dass sich Bund stärker engagiert

Höhere Steuern sind im Notfall auch für Merkel kein Tabu. 2005 hatte sie für die Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte geworben. Am Ende wurden es 2007 sogar drei. Für die SPD sind Steuererhöhungen ohnehin kein Teufelszeug, wenn sie die Richtigen treffen. "Wir plädieren für eine Finanztransaktionssteuer — die ist besser als eine höhere Benzinsteuer", sagt SPD-Haushaltssprecher Johannes Kahrs.

Für die Länder ist prioritär, dass ihnen der Bund möglichst viele flüchtlingsbedingte Mehrausgaben bezahlt. "Dass der Bund den Ländern und Kommunen bislang nur einen Bruchteil ihrer finanziellen Last abnimmt und sich erheblich stärker engagieren muss, steht außer Frage. Wie er das macht, ist Sache der Bundesregierung", sagt NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD).

Bodo Ramelow, Thüringens linker Ministerpräsident, weiß auch, woher Schäuble das Geld nehmen soll. "Ich schlage vor, dass der Bund künftig die Hälfte seiner Einnahmen aus dem Solidaritätsbeitrag in Höhe von acht Milliarden Euro den Ländern für Integrationsaufgaben zur Verfügung stellt", sagt Ramelow. Der Haken daran: In Schäubles Kasse würde ein ebenso großes neues Loch entstehen.

(mar)
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