Bürgerschaftswahl in Bremen Jugend wählt

Düsseldorf (RPO). Die Bürgerschaftswahl in Bremen ist allen Umfragen nach längst entschieden. Alles deutet auf Rot-Grün hin. Die Auswirkungen auf die Machtverhältnisse im Bund sind gleich Null. Lediglich ob die FDP ein Debakel erleiden wird, bleibt fraglich. Und sollten die Grünen am Ende tatsächlich vor der CDU stehen – es wäre für die Union ein höchst unangenehmes Signal. Eine Facette des Bremer Wahlgangs könnte allerdings doch noch bundesweit Folgen haben: Erstmals dürfen Jugendliche wählen.

Die Besonderheiten des Bremer Wahlsystems
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Foto: dapd

Düsseldorf (RPO). Die Bürgerschaftswahl in Bremen ist allen Umfragen nach längst entschieden. Alles deutet auf Rot-Grün hin. Die Auswirkungen auf die Machtverhältnisse im Bund sind gleich Null. Lediglich ob die FDP ein Debakel erleiden wird, bleibt fraglich. Und sollten die Grünen am Ende tatsächlich vor der CDU stehen — es wäre für die Union ein höchst unangenehmes Signal. Eine Facette des Bremer Wahlgangs könnte allerdings doch noch bundesweit Folgen haben: Erstmals dürfen Jugendliche wählen.

Bremen bleibt Bremen. Und damit sozialdemokratisch. Allen Umfragen nach werden die Sozialdemokraten am Sonntag sicherer Wahlsieger in der Hansestadt. Die CDU-Kandidatin Rita Mohr-Lüllmann könnte regelrecht daran verzweifeln. "Die Leistung ist hier nicht entscheidend", gab sie unlängst zu Protokoll. Und auch das Angebot an die Grünen, über eine mögliche Koalition doch zumindest mal zu reden, entpuppte sich als Rohrkrepierer.

Die Öko-Partei will nicht, auch wenn sie möglicherweise als zweitstärkste Kraft den Bürgermeister stellen könnte. Vor allem den Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Karoline Linnert werden in Folge des Bundestrends und nach Fukushima starke Stimmgewinne vorausgesagt.

Das Wahlrecht sorgt für neue Spannung

Spannung in Bremen — Fehlanzeige. Im Gegensatz zu manch anderen Landtagswahlen in der Republik erweist sich die Stadt als Hort der Stabilität. Das ist auch Verdienst des Bürgermeisters Jens Böhrnsen. Die Zustimmungswerte sind hoch, als Interimsbundespräsident erwarb er sich nach dem Abtritt von Horst Köhler mit seinem besonnenen Auftreten auch über die Stadtgrenzen hinaus Respekt und Sympathien.

Was dem Wahlgang noch ein paar Farbtupfer verleihen könnte, ist neben dem Abschneiden der FDP vor allem das erneuerte Wahlrecht. An diesem Sonntag dürfen bei der Bremer Bürgerschaftswahl auch Jugendliche ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben. Bremen ist das erste Bundesland, das unter 18-Jährige zu einer Wahl eines Landesparlaments zulässt. Die Aussicht auf neues Wählerklientel hat dem Wahlkampf neue Strategien abverlangt. Mehrfach waren die Spitzenkandidaten in den Schulen zu sehen und warben um die Gunst der Erstwähler.

Parteien zeigen sich offen

Gerade einmal 10.000 sind es, die durch das im Jahr 2009 geänderte Wahlrecht nun als jugendliche Neu-Wähler an die Urnen kommen. Und dennoch hat Bremen das Zeug zur richtungsweisenden Wahl. Wie hoch die Wahlbeteiligung ausfallen wird, wird den Parteien zeigen, wie sehr sie sich perspektivisch gegen die grassierende Politikverdrossenheit behaupten können.

In den Parteien wächst auch auf Bundesebene die Bereitschaft für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Bei Grünen und SPD ist diese Offenheit für eine Neuerung wenig überraschend besonders ausgeprägt, stehen Jugendliche doch nicht zu Unrecht im Ruf, bevorzugt links zu wählen. Folglich sprachen sich führende Politiker von Grünen und SPD vor dem Wochenende klar für eine Absenkung des Wahlalters aus - auch auf Bundesebene.

Auch die Bürgerlichen sind dabei

"Bremen macht deutlich, dass die Herabsenkung des Wahlalters auf 16 Jahre der richtige Schritt ist, Jugendliche für Politik zu begeistern", sagte Grünen-Parteichefin Claudia Roth dem "Hamburger Abendblatt". Der Bundestagsabgeordnete und frühere SPD-Chef Franz Müntefering sagte dem Blatt, viele 16-Jährige seien "zweifelsfrei reif" für die Wahl. Daher plädiere er für ein Wahlrecht mit 16 Jahren auch auf Bundesebene.

Doch auch die "bürgerlichen" Parteien zeigen sich offen. Die familienpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Miriam Gruß, sagte dem "Hamburger Abendblatt" vom Samstag, sie "persönlich habe viel Sympathie dafür, das Wahlalter auch bei Bundestagswahlen auf 16 Jahre herabzusenken". Dieses Thema sollte in Partei und Fraktion nochmals diskutiert werden.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU), hält zwar "prinzipiell" das Wahlrecht ab 18 für richtig. Wenn bei der Bürgerschaftswahl in Bremen die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen hoch sei, dann werde es aber "sicherlich noch einmal eine Debatte über das Wahlalter geben", sagte er der Zeitung.

Und die politische Reife?

Die politische Debatte ist — unter Vorbehalt der Wahlbeteiligung — eröffnet. Trotz aller Einwände. Zum Beispiel, dass es den jungen Leuten an politischer Reife fehlt, so wie es Skeptiker immer monieren. Doch bekommt hier die Jugend auch Unterstützung von wissenschaftlicher Seite. So setzt sich beispielsweise auch der Berliner Jugendforschers Klaus Hurrelmann für eine stärkere Beteiligung von Jugendlichen ein.

Zwar werde bei Wahl am Sonntag in Bremen vermutlich die Hälfte von ihnen auf eine Stimmabgabe verzichten, sagte Hurrelmann unter Berufung auf einschlägige Studien. Mangelnde Wahlbeteiligung sei für ihn jedoch kein Argument, an der Wahlfähigkeit 16- und 17-Jähriger zu zweifeln, so Hurrelmann.

Bald schon mit 14 wählen gehen?

Seiner Ansicht nach sollten Jugendliche vielmehr auch in anderen Bundesländern und bei der Bundestagswahl mitstimmen dürfen. Hurrelmann plädierte zugleich für eine noch weitergehende Senkung des Wahlalters. "Ich könnte mir vorstellen, dass wir eines Tages über das Alter von 14 Jahren reden", sagte er. Zur Wahl zu gehen, einen Zettel mit Wahlvorschlägen zu lesen und rational zu entscheiden, ob eine Partei oder ein Kandidat eine überzeugende Politik vertrete, das sei etwa ab der Pubertät möglich. Es spreche zudem nichts dagegen, jugendliche Erstwähler bei allen Wahlen zuzulassen. "Dass nach politischen Ebenen unterschieden wird, verwirrt eher."

Die erfahrungsgemäß geringe Wahlbeteiligung junger Leute spricht aus Sicht Hurrelmanns nicht gegen die Zulassung von Jugendlichen. "Diese Gruppe geht nicht aus Pflichtgefühl zur Wahl wie Ältere, aber das ist auch nicht die Idee der Demokratie", sagte der Wissenschaftler. Jugendliche seien vielmehr unbefangen und sehr auf eigene Interessen ausgerichtet. "Sie wählen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Und das ist urdemokratisch."

(dapd/AFP/pst)
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