Heikle Fälle stellen Behörden vor Probleme Ein Kind als Ehefrau

Düsseldorf · Die Ehe gilt in Deutschland als Versprechen der Liebe von Erwachsenen. In Migrantenkreisen werden zunehmend junge Mädchen mit älteren Männern verheiratet. Jetzt schlagen die Behörden bei Kinderehen Alarm.

 Sehr junge Mädchen verschwinden von einem Tag auf den anderen aus der Schule - weil sie verheiratet wurden. Für Behörden ist das ein heikles Problem.

Sehr junge Mädchen verschwinden von einem Tag auf den anderen aus der Schule - weil sie verheiratet wurden. Für Behörden ist das ein heikles Problem.

Foto: dpa, skh pzi dna

Was hat ein Mädchen mit 14 Jahren für Sorgen? Vielleicht streiten sich die Eltern häufiger, die beste Freundin driftet in einen anderen, cooleren Kreis ab, und der Junge, den man begehrt, erscheint unerreichbar. Das kann gewiss alles schmerzen, Wunden aufreißen und Mädchen, aber auch Jungen in Abgründe stürzen lassen.

Nur als Kind aber hat man das Recht und die Chance, sich ausschließlich mit Dingen zu beschäftigen, die einen selbst betreffen: Welchen Leistungskurs wähle ich? Spiele ich lieber Tennis oder Handball? Definiere ich mich über Hip Hop oder lerne Geige? Das sind die Fragen eines Kindes und es sind auch die Fragen eines Jugendlichen. Die Frage nach der Ehe aber ist zweifelsfrei keine, die sich ein Kind stellen sollte.

Immer mehr Kinder aber müssen das. Wie die "Welt am Sonntag" berichtet, gibt es in Deutschland mehr als 1000 sogenannte Kinderehen. Das sind oft Fälle, in denen ein minderjähriges Mädchen einen erheblich älteren Mann heiratet - gegen oder ohne den Willen der Kinderbraut. Für Nordrhein-Westfalen gibt es keine offiziellen Zahlen, aber nach einer Erhebung der Bezirksregierung Arnsberg aus der ersten Jahreshälfte 2016 sollen hier 188 solcher Ehen existieren. Auch das NRW-Justizministerium schätzte ihre Zahl im Juni auf knapp 200. Solche Ehen gehen demzufolge meist darauf zurück, dass Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern nach dem dortigen Recht geheiratet haben.

Die deutschen Behörden stellt diese Entwicklung zunehmend vor große Schwierigkeiten. Das Jugendamt Aschaffenburg etwa hatte es jüngst mit einem Fall von zwei Syrern zu tun. Sie war 14 Jahre alt, er zählte 20 Jahre, als die beiden in Syrien heirateten. Kurz danach sind sie geflohen. Obendrein war der Bräutigam ihr Cousin.

Behörden stehen vor schwierigen Entscheidungen

Nach der Flucht und der Ankunft in Aschaffenburg wollte das Paar weiter zusammenleben, doch das Jugendamt steckte die beiden in unterschiedliche Unterkünfte. Zwei Stunden pro Woche durften sie sich sehen - und das auch nur unter Aufsicht. Das Amt hatte Sorge vor einer Schwangerschaft des Mädchens.

Der Cousin und Ehemann reichte Klage ein und bekam vor dem Oberlandesgericht Bamberg Recht. Eine Ehe, die nach ausländischem Recht im Ausland geschlossen wird, müssen deutsche Behörden anerkennen, entschieden die Richter und bestätigten damit die gängige Praxis. Mit dem Grundsatz der Gegenseitigkeit will man die so genannte "hinkende Ehe" vermeiden. Nämlich den Fall, dass beispielsweise eine deutsche Ehe in Syrien anerkannt wird, eine syrische Ehe in Deutschland aber nicht. Eine Ausnahme bilden nur Ehen, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen.

Aber wann verstößt eine Ehe gegen die guten Sitten? Wann gegen die öffentliche Ordnung? Das ist grundsätzlich eine Frage der Auslegung, die Behörden und Gerichte jeweils für sich entscheiden. Die Mehrehe etwa verstößt zweifelsfrei gegen die öffentliche Ordnung.

NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) will mit seinem bayerischen Amtskollegen Winfried Bausback (CSU) in einer ungewöhnlichen Allianz die Frage der Auslegung eindeutig klären, am liebsten in Gesetzesform. Aus dem NRW-Justizministerium hieß es gestern, dass das Alter eine feste Größe hierfür sein könnte. Kutschaty will, dass sich die Ehemündigkeit ausschließlich nach deutschem Recht richtet. Damit würden alle Ehen mit unter 16-Jährigen nicht anerkannt.

In Deutschland darf heiraten, wer 18 Jahre alt ist oder in Ausnahmefällen und nur auf Antrag, wer mindestens 16 ist. In diesem Fall müssen sich die gesetzlichen Vertreter mit der Trauung ihres minderjährigen Kindes einverstanden zeigen. Die Ehe muss vor dem Standesamt geschlossen werden. Das hat zur Konsequenz, dass alle Ehen, die nach islamischem Recht oder etwa nach Traditionen der Romakultur vereinbart werden, nicht anerkannt werden. Das hat den Nachteil, dass die Strafbarkeit der Zwangsehe nicht auf sie angewendet werden kann.

In großer Einigkeit haben Kinderorganisationen, Politiker und Vertreter aus Kirche und Gewerkschaft Maßnahmen gegen die Kinderehe gefordert. Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, sagte in der "Welt am Sonntag", sie könne sich eine generelle Anhebung des Mindestalters beider Ehepartner auf 18 Jahre "gut vorstellen". Sie fordert eine Abschaffung von Ausnahmeregeln. Schwaetzer: "Kinderehen gehören nicht in unsere Gesellschaft." Justizminister Heiko Maas (SPD) hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich ab dem 5. September in Berlin treffen will und die heikle Frage der Kinderehen klären soll.

Mädchen verschwinden plötzlich aus der Schule

Zudem ergeben sich weitere Schwierigkeiten. Weil sich die oftmals zwangsverheirateten Mädchen häufig um den Haushalt ihres Mannes kümmern müssen, verschwinden sie plötzlich von einem auf den anderen Tag aus der Schule. Zwar darf das Ordnungsamt säumige Schüler einsammeln und in den Unterricht bringen. Doch was sollen Lehrer und Behörden tun, wenn niemand weiß, wo sich die Mädchen aufhalten? Während sie sich in der Schule bilden sollen, zur Selbstständigkeit erzogen werden, zur mündigen erwachsenen Frau, die aus freiem Antrieb ihr Leben bestimmt, müssen sie stattdessen einem Mann, der möglicherweise doppelt so alt ist wie sie selbst, bedienen.

Das offenbart deutlich die Schwierigkeit des Staates, seiner Schutzverantwortung für das Kindeswohl tatsächlich gerecht zu werden. Auch 14-jährige Mädchen aus Syrien stehen unter dem Schutz des Grundgesetzes, wenn sie in Deutschland sind.

Es ist wunderbar, wenn zwei Menschen einander das Versprechen der Ehe geben. Sich lieben wollen, bis der Tod sie scheidet. Doch für dieses Versprechen bedarf es der Fähigkeit, die Tragweite der Entscheidung erkennen zu können. Kinder können und müssen das nicht. Sie haben das Recht auf Kindheit.

(her)
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