Kolumne Berliner Republik Rot-Rot startet die Operation Fahnenflucht

Berlin · SPD und Grüne beteuern, dass sie sich nicht von der Linkspartei tolerieren lassen wollen. Müssen sie vielleicht auch nicht. SPD-Linke setzen auf Überläufer.

SPD Parteitag beschwört das Gemeinwohl
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Niemand hat die Absicht, mit der Linkspartei zu kooperieren. Keine Koalition. Keine Tolerierung. So haben es die Spitzenleute von SPD und Grünen dem Wahlvolk versprochen. Selbst wenn es im Herbst nach der Bundestagswahl also ganz, ganz knapp nicht für Rot-Grün reichen sollte, will sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nicht mit Stimmen der Linkspartei wählen lassen.

Muss er vielleicht auch nicht. Es gibt einen anderen, eleganteren Weg, die Linken als Kanzlermacher zu nutzen: das Modell Überläufer. Oder besser: Operation Fahnenflucht. Sollten Rot-Grün nach der Bundestagswahl nur eine oder zwei Stimmen zur Mehrheit fehlen — angesichts der Umfragen und der Ergebnisse bei der jüngsten Landtagswahl keine besonders gewagte These —, setzen manche Genossen auf Überläufer: Linkspartei-Abgeordnete, die aus fadenscheinigen Gründen aus ihrer Fraktion austreten und als parteilose Parlamentarier fortan der rot-grünen Truppe als Stimmvieh dienen. Oder gleich ganz das Parteibuch der SPD annehmen.

In kleiner Runde wird bei den SPD-Linken längst darüber diskutiert. Generalsekretärin Andrea Nahles, die exzellente Kontakte zu Linkspartei-Abgeordneten und früheren Mitgliedern der SED/PDS-Nachfolger hat, soll die Vorgehensweise intern gebilligt haben. Im Mai 2010, als in NRW SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft mit dem Modell der Minderheitsregierung haderte, haben Genossen Kraft das gleiche Verfahren empfohlen.

Ein Sprecherposten müsste es schon sein

In der Bundes-SPD wird nun beraten, was man den Linkspolitikern anbieten müsste, damit sie ihre Stimme der SPD-Regierung geben. Ein Sprecherposten für einen Ausschuss im Bundestag müsste es schon sein, heißt es. Oder ein prominenter Platz im Bundestagspräsidium oder im einflussreichen Haushaltsausschuss. Das Erpressungspotenzial der wechselfreudigen Linken ist hoch. Es ginge ja um die entscheidenden Kanzlerstimmen.

Im Berliner Landesverband kommt es nun zum Vorentscheid, ob das Modell tragfähig sein könnte. Die frühere PDS-Politikerin Sylvia Kaufmann will für die Berliner SPD in das Europaparlament einziehen. Erstmals würde damit ein früheres SED-Mitglied in der SPD Karriere machen. Der angestrebte Listenplatz wäre aussichtsreich. Und es wäre die klare Botschaft an potenzielle Überläufer: Auch bei uns könnt ihr was werden.

Das Problem: Ausgerechnet ein enger Mitarbeiter von SPD-Chef Sigmar Gabriel will Kaufmann verhindern und selbst antreten. Nun steht der Parteivorsitzende vor einer schweren Entscheidung.

(brö)
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