Hohe Wahlbeteiligung im Saarland Erlebt Deutschland einen politischen Frühling?

Düsseldorf · Bei der Landtagswahl im Saarland haben deutlich mehr Menschen ihre Stimme abgegeben als 2012. Und die proeuropäische Bewegung "Pulse of Europe" mobilisiert tausende Menschen. Ist die Phase der Politikverdrossenheit vorbei?

 Demonstranten stehen am Sonntag vor dem Kölner Dom bei der pro-europäischen Demonstration "Pulse of Europe".

Demonstranten stehen am Sonntag vor dem Kölner Dom bei der pro-europäischen Demonstration "Pulse of Europe".

Foto: dpa, fg tba

Die Beteiligung im Saarland stieg nach Angaben der Landeswahlleiterin von 61,6 im Jahr 2012 auf nun 69,7 Prozent. Davon profitiert hat vor allem die CDU. Aber bedeutet das auch, dass die Mutlosen wieder lauter werden? Werden die Deutschen auch jenseits der Populisten wieder politischer?

"Das Wasser kräuselt sich", sagt Jugendforscher Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance, "aber ob daraus eine große Welle entsteht, das kann man noch nicht sagen."

Der politische Aufschwung könne auch nur eine kurzzeitige Reaktion auf Krisenzeiten sein, sagt Hurrelmann. Denn eine hohe Wahlbeteiligung, weiß auch Politikwissenschaftler Stefan Wurster von der Hochschule für Politik München an der Technischen Universität München, signalisiere zunächst einmal eines: Unzufriedenheit.

"Die bisherige Ordnung, die wir hatten, scheint gefährdet", sagt Politikwissenschaftler Wurster. Und das Epizentrum dieser Gefahr liege in Europa. Der Brexit - ein Paukenschlag, der viele Europäer wachgerüttelt habe. Europa gelte für alle deutlich sichtbar als bedroht. Aber auch der neue US-Präsident Donald Trump habe die Deutschen verunsichert.

Allen voran die jüngere Generation, sagt Jugendforscher Hurrelmann. Und von der gehe für gewöhnlich die Stimmung im Land aus. Wenn sich eine Trendwende bei der Jugend abzeichne, dann sei das eine Initialzündung für die Gesamtbevölkerung. "Das hat man beim Aufstieg der Grünen und der Piraten gesehen, aber auch bei der Krise der SPD", sagt Hurrelmann. Und nun stehen die Zeichen bei der Jugend ganz klar auf: Politik ist wieder sexy.

"Die Leute fühlen das, das steckt an", sagt Bernd Fröhlich, Organisator der proeuropäischen Bewegung "Pulse of Europe" in Düsseldorf. "Ich glaube, dass sich viele vorher im stillen Kämmerchen gedacht haben, es kann doch nicht alles immer schlecht, immer mies sein", sagt Fröhlich. Über das Ergebnis im Saarland freue er sich besonders, denn das zeige: Die großen Parteien hätten den Populisten doch noch etwas entgegenzusetzen.

Tausende kamen in den vergangenen Wochenenden zusammen auf die Straße. Die Bewegung "Pulse of Europe" steht für ein neues Selbstbewusstsein der Europäer, sagt der Düsseldorfer Organisator Fröhlich. Die Politikverdrossenheit als Krankheit der Demokratie scheint im Frühjahr 2017 überwunden.

Die Gründe sind vielfältig: Trump, Brexit, erstarkender Populismus bis hin zu Extremismus - ein bequemes Demokratie-Verständnis funktioniere da nicht mehr, sagt Hurrelmann. "Die Jugend hat gemerkt, dass sie sich bewegen muss." Und das tut sie jetzt auch. "Und die Älteren ziehen neugierig hinterher", sagt Hurrelmann.

Eine Phase, wie sie Deutschland im Jahr 2017 erlebe, sei näher an der Urform der Demokratie, sagt Hurrelmann. Einer politischen Teilhabe, die weniger mit Taktieren und Rationalisieren einhergehe, sondern vielmehr mit Gefühl und Intuition. "Junge Menschen sind spontaner."

Pulse of Europe am 26. März 2017
6 Bilder

Pulse of Europe am 26. März 2017

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Die Essenz: Politik ist wieder spannend, das Ende nicht schon geschrieben, "Wählen gehen macht wieder Spaß", sagt Bernd Fröhlich. Und das sei auch einer neuen Schlüsselfigur in der SPD zuzuschreiben, sagt Forscher Hurrelmann: Martin Schulz.

Von einer höheren Wahlbeteiligung profitieren laut Wahlforschung vor allem die großen Parteien. "Eine höhere Wahlbeteiligung nutzt tendenziell den Volksparteien", sagt Stefan Wurster. Hingegen komme eine niedrige Beteiligung den kleinen Parteien am politischen Rand zugute.

Bei der Landtagswahl im Saarland sollen laut Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap in diesem Jahr 60.000 Menschen zur Wahl gegangen sein, die vorher nicht gewählt haben. Fast die Hälfte der ehemaligen Nichtwähler soll ihre Stimme demnach der CDU gegeben haben, 16.000 stimmten für die SPD und 8000 für die AfD.

Denn auch die AfD trage zu neuer Politisierung bei. In der Bewegung, aber auch in der Gegenbewegung der Pro-Europäer. Bei der Wahl an der Saar kam die Alternative für Deutschland auf 6,2 Prozent. Grüne, FDP und Piraten scheiterten dagegen an der Fünf-Prozent-Hürde.

Wohin der neue politische Frühling in Deutschland führt, könne erst die Landtagswahl in NRW zeigen, sagt Jugendforscher Hurrelmann. Noch ist nicht klar, ob gestiegenes politisches Interesse in Parteien mündet, oder in politischen Bewegungen. "Im Moment sieht es nach beidem aus", sagt Hurrelmann.

Bernd Fröhlich von der "Pulse of Europe"-Bewegung bleibt positiv. Der neue politische Frühling scheint ansteckend, die Bewegung werde weiter wachsen.

"Wenn das so weitergeht, werden wir bis zur Wahl in Frankreich die 2000-Teilnehmer-Marke knacken", sagt Fröhlich. Die Bundestagswahl aber ist erst im Herbst.

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