Sommer-Interview mit Norbert Lammert "Meldegesetz war kein Glanzpunkt"

Düsseldorf · Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über die Rolle des Bundestags in der Euro-Krise sowie über leere Ränge im Parlament, als das Betreuungsgeld und das Meldegesetz auf der Tagesordnung standen.

Ärger um neues Meldegesetz: Das geschieht mit Ihren Daten
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Foto: dapd, Clemens Bilan

Das Bundesverfassungsgericht will sich drei Monate Zeit nehmen, um die Eilanträge der Kläger gegen den europäischen Rettungsschirm ESM zu prüfen. Droht eine Hängepartie?

Lammert Mir imponiert die Sorgfalt, mit der das Bundesverfassungsgericht eine Frage von großem Gewicht und großer Komplexität prüft. Ich habe schon vor Eröffnung des Verfahrens erklärt, dass ich keine Zweifel daran habe, dass sich das Gericht neben der rechtlichen Bewertung der Sachverhalte auch mit den Wirkungen seiner möglichen Entscheidungen gründlich auseinandersetzt.

Druck entsteht aber schon, wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble vor "erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen" warnt. Drohen solche Verwerfungen?

Lammert Mir gefällt die vordergründige Bewertung nicht, die jede Meinungsäußerung zu diesem Thema unverzüglich nach sich zieht. Der Bundesfinanzminister nimmt seine Rolle wahr. Es wäre doch zu beanstanden, wenn er es nicht täte. Auch das Bundesverfassungsgericht nimmt seine — völlig andere — Rolle wahr. Und zu beanstanden wäre, wenn es die Sache aus der Perspektive des Finanzministers betrachten würde! Deswegen kann ich weder erkennen, dass der Finanzminister unzulässigen Druck auf das Verfassungsgericht ausübt, noch umgekehrt, dass das Bundesverfassungsgericht unvertretbare Verzögerungen dringender Entscheidungen verursacht.

Die Kläger sehen sowohl das Wahlrecht der Bürger als auch das Haushaltsrecht des Parlaments beschnitten. Liegen sie damit richtig?

Lammert Die ganz überwiegende Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages ist nachweislich anderer Meinung. Aber es ist das gute Recht der Kläger, ihre eigenen rechtlichen Beurteilungen und die damit verbundenen Besorgnisse zum Gegenstand einer verfassungsgerichtlichen Klärung zu machen.

Erleben die Verfassungsorgane zurzeit eine Bewährungsprobe wie noch nie?

Lammert Es ist sicher keine Routinesituation. Aber dass es eine völlig beispiellose Belastungsprobe sei, scheint mir ein wenig dramatisiert. Es gehört zu den großen Vorzügen unseres politischen Systems, dass wir auf der einen Seite klare Zuständigkeitsregeln in unserer Verfassung haben und auf der anderen Seite eine Balance von politischen Gewichten, die im Ergebnis sicherstellt, dass sich kein Verfassungsorgan verselbstständigen kann. Das findet dann in solchen Verfahren einen gelegentlich lästigen, aber, wie ich finde, eindrucksvollen Ausdruck.

Hat Bundespräsident Joachim Gauck recht, und das Krisenmanagement wird viel zu schlecht erklärt?

Lammert Es gibt sicher eine Verpflichtung, diese Zusammenhänge immer wieder geduldig und auch möglichst verständlich zu erklären. Es gibt aber auch eine Verpflichtung zuzuhören. Und dass es in den vergangenen Monaten sowohl bei der Kanzlerin wie im Deutschen Bundestag keine öffentlichen Erläuterungen von beabsichtigten Maßnahmen gegeben habe, wird man wohl schwerlich behaupten können.

Sprechen die Parlamentarier eine Sprache, die der Bürger nicht versteht?

Lammert Das mag sein. Jedenfalls ist nicht bestreitbar, dass die Kenntnis über Zusammenhänge in der Öffentlichkeit nicht so ausgeprägt ist, wie man es sich angesichts der Wichtigkeit dieser Themen wünschen würde.

Die Politik erweckt den Eindruck, dass sie überfordert ist angesichts der momentanen Herausforderungen.

Lammert Ich habe keine Zweifel daran, dass fast sämtliche Mitglieder des Deutschen Bundestages sehr zufrieden damit wären, wenn sie sich in weniger kurzen Abständen mit weniger eindrucksvollen Größenordnungen ständig neuer Hilfsmaßnahmen beschäftigen müssten als jetzt. Aber die Finanzlage wie die Verfassungslage ist so, wie sie ist, und wir haben selbst mit Nachdruck darauf bestanden, dass die Erledigung dieser Themen nicht allein der Regierung überlassen bleiben darf.

Beim Betreuungsgeld und beim Meldegesetz gab es leere Ränge im Parlament. Wie zufrieden sind Sie mit dem Bild, das der Bundestag da abgab?

Lammert Beide Vorgänge sind sicher keine Glanzpunkte des deutschen Parlamentarismus. Auch wenn es für beide jeweils Erklärungen gibt, wäre mir wohler, wenn ich beides nicht kommentieren müsste.

Benötigt das Parlament als Lehre aus der Pannenserie bei den Ermittlungen zu den NSU-Morden auch mehr Kontrolle über den Verfassungsschutz?

Lammert Ich will den Schlussfolgerungen des Ausschusses nicht vorgreifen. Legislative und Exekutive haben ihre jeweiligen Aufgaben. Das machen sie nicht unbedingt besser, wenn es gemeinsame Zuständigkeiten gibt. Dass wir im gesamten Bereich des Verfassungsschutzes Anlass für eine gründliche Neuordnung haben, ist allerdings jetzt schon offenkundig. Ich sehe mit Interesse möglichen Vorschlägen, die sich aus dem Untersuchungsausschuss ergeben, entgegen.

(qua)
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