CDU-Parteitag in Karlsruhe Merkel trifft die konservative Seele

Karlsruhe (RP). Tausend Delegierte und noch mehr Gäste schmunzeln beim Eintritt zum 23. Bundesparteitag der CDU in der Karlsruher Messe. "Nähme Sie des Märkerl!", heißt es an der Garderobe. Und wieder: "Ihr Märkerl, bitte!" Auf Deutsch: Ihre Garderoben-Marke, bitte. Doch die meisten Delegierten verstehen nur "Nehmen Sie die Merkel!" Aber welche? Denn in Karlsruhe ist bereits die dritte zu besichtigen.

Merkel kämpferisch in Karlsruhe
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Die radikale Reformerin Merkel hat die CDU mit sich selbst ins Reine gebracht — und ist auf dem Weg zurück ins Kanzleramt dann doch beinahe gestolpert. Die nachfolgende moderierende SPD-Partnerin Merkel hat die CDU eingelullt und die SPD-Wähler demotiviert. Aber auch diese "asymmetrische" Demotivation hat die CDU nur wegen der FDP weiter Kanzlerinpartei bleiben lassen, weil die Liberalen plötzlich hellwach erschienen.

Stolper-Start abgehakt

Nach dem Stolper-Start der Traumkoalition aus Union und FDP hadert die CDU mit sich selbst. Wohin führt uns Merkel? In einzelnen Landesverbänden wird am Vorabend bereits die Frage debattiert: "Wohin mit Merkel?" Mancher Christdemokrat träumt bereits von einer glänzenden Zukunft unter einem Bundeskanzler Karl-Theodor zu Guttenberg.

Aber die Gegenwart heißt Merkel, und dafür hat sich die Parteivorsitzende neu erfunden. Selbstironisch karikiert sie sogleich ihren eigenen Redeeinstieg mit einer originellen Begebenheit. Sechs Tage nach dem Fall der Mauer hätten die polnischen Wissenschaftler natürlich damit gerechnet, dass ihr Gast aus Ost-Berlin Wichtigeres zu tun habe.

Doch die Physikerin Merkel kam, um in Thorn über "EPR-Spektroskopie" zu referieren. Das habe sie damals als Pflicht empfunden, schildert sie auf den Tag genau 20 Jahre später in Karlsruhe — und fragt sich selbst: "Ich das nun typisch Merkel oder typisch deutsch?" Ihre Antwort: "Vielleicht beides."

Typisch deutsch

Typisch Merkel ist typisch deutsch? Sie wolle die Kanzlerin aller Deutschen sein, lautete ihre Botschaft bei den zurückliegenden Parteitagsreden, die den Delegierten eher pflichtgemäße Zustimmung entlockten. Dieses Mal soll es anders sein. Typisch Merkel soll endlich typisch CDU sein. Dafür hat sie in den letzten Monaten geübt: Im Bundestag, als sie von Beschreibung auf Attacke schaltete und sofort die Fraktion mitriss.

Dann beim Deutschlandtag der Jungen Union, als sie die Angriffe auf Rot-Grün noch eine Spur härter fuhr und den Parteinachwuchs begeisterte. Karlsruhe bringt als dritter markanter Anlass die, wie Merkel selbst sagt: "Zäsur". Es ist von ihr personell gemeint: Sie verabschiedet ihre langjährigen Stellvertreter und Rivalen Jürgen Rüttgers und Roland Koch. Der Parteitag markiert mit sattem Applaus für den einen und mit donnerndem Beifall für den anderen, dass man sich auch von dem Gedanken an personelle Alternativen zu Merkel verabschiedet.

"Andenpakt" hat ausgedient

Der legendäre "Andenpakt", jener Anti-Merkel-Männerbund früherer JU-Politiker, die sich geschworen hatten, sich in Seilschaften die Macht zu teilen, hat in Karlsruhe endgültig ausgedient. Merkels "Zäsur" ist auch ein Sieg über diesen "Andenpakt".

Merkels CDU ist eine CDU nach Rüttgers, nach Koch, nach Wulff. Und diese "Zäsur" lässt ihre Zunge flott werden: "Sie wissen ja alle noch, wie er aussieht", meint sie süffisant, als sie dem nun neutralen Bundespräsidenten für sein Wirken an der CDU-Spitze einen Dank zusendet.

"Wir sind wir", lautet Merkels Grundannahme. Die CDU als unverwechselbare Partei, die jeden Menschen als einmalig sieht und daraus ihren christlich-konservativ-liberalen Politikentwurf ableitet. Auf Adenauer beruft sich Merkel dabei. Und auf Kohl.

"Alles das sind wir", sagt sie am Ende ihrer Rede nach langen Passagen über Integration, Bildung, Wirtschaft und das, was die Bürger angeblich wollen und nur bei der CDU finden sollen. Da weiß sie schon, dass sie erstmals seit zehn Jahren die Seele der Partei getroffen hat. Weil sie keinen ausgewogenen Überblick geliefert hat, sondern ein emotionales Bekenntnis.

"Sehr brauchbar"

Einen ersten Rede-Entwurf hatte die Parteizentrale geliefert. Der sei schon "sehr brauchbar" gewesen, heißt es im Kanzleramt. Aber dann habe sich die Chefin selbst daran gesetzt und immer wieder daran gefeilt. Bis sie sich mit ihren Überzeugungen auf den Punkt formuliert wieder findet: Ehrliches Eingeständnis für den versemmelten Start an den Anfang. Aber dann die verbreiteten Zweifel an der Zukunft dieser Partnerschaft mit der FDP beherzt beiseite schieben: So sieht ihr Konzept aus.

Nicht Schwarz-Grün, nicht Schwarz-Rot als Alternative, es sei ein "Auftrag von geradezu historischer Tragweite", mit dem christlich-liberalen Bündnis die einzige Alternative, nämlich Rot-Rot-Grün, zu verhindern. Dazu der Stolz darauf, aus Schröders fünf Millionen Arbeitslosen inzwischen weniger als drei gemacht zu haben.

Und immer wieder beißende Kritik an der Opposition, vor allem mit Sätzen, die auf Beifallsstürme zielen — und treffen: Franz Müntefering habe gesagt "Opposition ist Mist." Nun habe dieser nichts mehr zu sagen und die SPD sei "einen Schritt weiter: Die Opposition macht Mist."

Merkel verteilt Lob

Streicheleinheiten dagegen für die Merkelianer. Annette Schavan erhält das Lob der Chefin genauso wie Volker Kauder. Sie erwähnt Norbert Röttgen, aber nicht "an der Spitze", wie im Manuskript vermerkt, sondern nur "im Umweltministerium".

Zwei Mal stellt sie sich glasklar hinter Wolfgang Schäuble. Und die große Kanzleralternative Karl-Theodor zu Guttenberg findet auch ihren Weg in Merkels Rede, aber an einer Stelle, an der die Kanzlerin bedrückt ihre Empfindungen im Umgang mit den Familien gefallener Soldaten schildert, da ist es mucksmäuschenstill im Saal, jedes Grundrauschen erstirbt. Und natürlich wäre Applaus für Guttenberg an dieser Stelle unpassend.

Eine Parteivorsitzende, die aus Sicht der Delegierten endlich zeigt, dass sie die Bedürfnisse ihrer Partei erspürt hat, konservativ blinkt und liberal fährt. Hauptsache regieren und dabei als CDU erkennbar werden: Viel mehr wünscht sich die Basis in der Merkel-CDU nicht. "Grandios", "wunderbar", "klasse" lauten die Kommentare im Saal, während der Parteitag neuneinhalb Minuten stehend applaudiert.

(RP)
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