Seit dem 1.Januar greift die Reform Regierung verteidigt Rente mit 67

Düsseldorf · Gerade einmal einen Tag alt ist die Rente mit 67, schon knirscht es im Gebälk. SPD und Sozialverbände schimpfen lautstark über Altersarmut und soziale Ungerechtigkeiten, CSU-Chef Horst Seehofer bringt mit seinen Zweifeln die eigene Koalition gegen sich auf. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen verteidigt die Rente mit 67 als fair – und alternativlos.

 Arbeitsministerin Ursula von der Leyen verteidigt leidenschaftlich die Rente mit 67.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen verteidigt leidenschaftlich die Rente mit 67.

Foto: dpa, Rainer Jensen

Gerade einmal einen Tag alt ist die Rente mit 67, schon knirscht es im Gebälk. SPD und Sozialverbände schimpfen lautstark über Altersarmut und soziale Ungerechtigkeiten, CSU-Chef Horst Seehofer bringt mit seinen Zweifeln die eigene Koalition gegen sich auf. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen verteidigt die Rente mit 67 als fair — und alternativlos.

Direkt zum Jahresbeginn rumpelt es wieder heftig in der Koalition. Auslöser ist ein neuer Rundumschlag von CSU-Chef Horst Seehofer. Er stellt mit größtmöglicher medialer Wirkung in der Bild am Sonntag die Reform in Frage: "Die Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer über 50 in Deutschland müssen spürbar verbessert werden! Sonst wird die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zur faktischen Rentenkürzung", poltert der bayerische Ministerpräsident. Mit ihm sei eine "massenhafte Rentenkürzung" nicht zu machen.

Der CSU-Chef weiß nur zu gut: Kaum eine Sozialreform ist so unbeliebt wie die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Die greift seit dem 1.1.2012. Wer in diesem Jahr 65 wird, muss einen Monat über seinen Geburtstag hinaus arbeiten, um die volle Rente zu bekommen.

Stufenplan bis 2029

In einem Stufenplan bis zum Jahr 2029 soll die Anhebung auf 67 Jahre erreicht werden. Das Regelalter für die abschlagsfreie Rente steigt von derzeit 65 Jahren anfangs in Schritten von einem Monat, in der zweiten Phase in Zwei-Monats-Schritten. 2029 ist die Anhebung auf 67 Jahre erreicht. Dann gibt es die Rente ohne Abschläge im Regelfall nur noch mit 67 Jahren, bislang lag die Grenze bei 65 Jahren.

Seehofer hat schon mehrfach bewiesen, dass er keinerlei Berührungsängste mit Ansichten hat, die in der Bevölkerung populär sind. Zuwanderung, Eurobonds, Guttenberg-Comeback, Rente mit 67 — es sind nur Beispiele. In der Koalition hat Seehofer sich längst den Ruf eines Unberechenbaren erarbeitet.

"Antäuschung nach links"

Schon im Oktober 2010 war er gegen die Rente mit 67 zu Felde gezogen und hatte sich damit den Zorn der Kanzlerin zugezogen. Das aber ficht ihn heute nicht an. Der Mann handelt aus der Not heraus. Dass die CSU bei den kommenden Landtagswahlen 2013 tatsächlich Angst vor der SPD haben muss, lässt Seehofer alle Register ziehen.

Die Reaktion der von Seehofer genervten Koalitionäre aus Berlin erfolgte prompt. "Ich halte überhaupt nichts davon, eine Reform schon zu ihrem Start wieder in Frage zu stellen", sagte die FDP-Vizevorsitzende Birgit Homburger unserer Redaktion. Auch der designierte liberale Generalsekretär Patrick Döring schimpfte auf Seehofer. Er bezweifle, dass der mit dieser "Antäuschung nach links sich und vor allem den Bürgern einen Gefallen tut", so Döring zur "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" vom Montag. Die Liberalen stünden zur Rente mit 67.

Von der Leyen: Rente mit 67 fair

Beschlossen hat das Reformwerk im Jahr 2007 die Große Koalition unter Führung des Duos Merkel/Müntefering. Paradox: Zugestimmt hat damals auch die CSU von Horst Seehofer. Die Argumente sind dieselben geblieben: Weil die Menschen länger leben, beziehen sie auch länger Rente. Wer 1970 in Rente ging, lebte im Schnitt noch elf Jahre. Inzwischen sind es 18 Jahre. Die logische Folge: Die Kosten für die Renten steigen. Das Ziel der Rentenreform: Die neuen Lasten sollen neu verteilt werden.

Die Befürworter kämpften auch noch Seehofers Breitseite mit Verve für ihr Reformwerk. Sie sehen darin einen unverzichtbaren Beitrag zur Generationengerechtigkeit. In vorderster Front steht dabei verlässlich Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Sie hält die Rente ab 67 für fair. "Wenn wir generationengerecht bleiben wollen zwischen den Alten, die die wohlverdiente Rente brauchen, und den Jungen, die diese erarbeiten müssen, dann ist der Weg, zwei Jahre länger arbeiten zu müssen, der richtige", sagte von der Leyen am Montag im Deutschlandfunk.

Ministerin lobt die Kraft der Älteren

"Die Alternative wäre Rentenkürzung oder Beiträge rauf, und beides ist meines Erachtens nicht zumutbar." Der gewählte Weg, das Rentenalter schrittweise von 65 auf 67 zu erhöhen, sei "eine der fairsten und gerechtesten Lösungen, die wir finden konnten in der Gesellschaft". Von der Leyen verwies darauf, dass ältere Menschen heute deutlich fitter seien als vor einigen Jahrzehnten. "Man sollte nicht verkennen, dass in den letzten 50 Jahren allein sich die Lebenserwartung um 10 Jahre verlängert hat. Das heißt, die Rente selber wird auch deutlich länger in Anspruch genommen."

Die Erwerbstätigkeit der Älteren habe sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. "Die Wirtschaft fängt an, sehr viel stärker die Kompetenzen des Alters zu schätzen." Dieser Trend müsse weiter unterstützt werden. "Wir müssen sehr viel stärker investieren in Weiterbildung, in körperliche Vorsorge, in seelische Gesundheit der Mittelalten und Älteren", sagte von der Leyen.

Sommer will den Zug aufhalten

Aus Sicht der Kritiker aber ist die Rente mit 67 ein reines Rentenkürzungsprogramm. Sie verweisen darauf, dass schon heute die Mehrzahl der Beschäftigten mit Abschlägen in Rente geht. Fast jeder zweite Arbeitnehmer ist nach den Daten der Rentenkasse im vergangenen Jahr vorzeitig in Rente gegangen und hat dafür zum Teil erhebliche Abschläge bei den Altersbezügen in Kauf genommen. Von den insgesamt knapp 674.000 Versicherten, die 2010 erstmals Rente bezogen haben, nahmen fast 320.000 oder 47,5 Prozent Abschläge hin, weil sie nicht bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet haben. Fünf Jahre zuvor waren es noch 41,2, im Jahr 2000 nur 14,5 Prozent gewesen.

Noch zum Jahresende forderten daher Sozialverbände und Opposition, die Einführung der Rente mit 67 zu stoppen. DGB-Chef Michael Sommer kündigte weiteren Widerstand der Gewerkschaften an. "Der Zug rollt zwar, aber man kann falsche Gesetze durch richtige Gesetze korrigieren", sagte Sommer dem "Südkurier".

Auch die Sozialdemokraten verlangten die Einführung der Rente mit 67 auszusetzen. Auslöser war ein Medienbericht über angeblich geschönte Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Demnach ist jeder zehnte Arbeitnehmer in der Altersgruppe zwischen 55 und 64 Jahren ohne Job. In den offiziellen Zahlen war nur von acht Prozent die Rede.

SPD erleidet Seehofer-Syndrom

"Die neuen Zahlen belegen, dass die Zeit für die Rente mit 67 noch nicht reif ist. Die SPD ist für eine Verschiebung der Einführung, bis Ältere eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt haben", sagte daraufhin der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Garrelt Duin, der "Bild"-Zeitung.

Dabei scheint aber auch die SPD so wie vom Seehofer-Syndrom befallen. Denn die Regelung, die dazu führte, dass 100.000 Ältere aus der Arbeitslosenstatistik fallen, stammt aus Zeiten der Großen Koalition. Abgesegnet hatte die neue Rechen-Methodik auch die SPD.

mit Agenturmaterial

(pst)
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