Debatte um das Einheitsdenkmal Sehnsucht nach guter Erinnerung

Düsseldorf · Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin könnte nach der jüngsten Kehrtwende im Bundestag nun 2019 fertig sein. Es markiert eine neue Perspektive auf die Vergangenheit der Nation. Ein Essay.

 Ein Modell des geplanten Denkmals.

Ein Modell des geplanten Denkmals.

Foto: dpa, ath fdt gfh

Neulich, am Niederwalddenkmal oberhalb Rüdesheims: Eine Ausflugsgruppe jugendlicher Flüchtlinge lungert frierend auf den Stufen des Monuments, der Blick übers Rheintal interessiert mäßig, die 38 Meter hohe Germania gleich hinter ihnen gar nicht. Dabei ist sie das frühe Denkmal eines deutschen Nationalstaates, mit dem 1871 nach dem Sieg über Frankreich aus dem Flickenteppich von König- und Fürstentümern ein Ganzes wurde. Seit 1883 dokumentiert die Kriegsgöttin diese deutsche Einheit; weitere nationale Bezeugungen kamen hinzu: mit dem Deutschen Eck bei Koblenz 1897 wie auch der Fertigstellung des Kölner Doms 1888. Alles deutsche Einheitsdenkmäler gewissermaßen, dem ein neues folgen wird: die riesige interaktive Wippe, die von der Stuttgarter Konzeptagentur Milla & Partner entworfen wurde und die vor dem rekonstruierten Berliner Schloss 2019 Bürger in Bewegung bringen soll.

Der Weg ist nicht gradlinig

Der Weg von der Germania des 19. Jahrhunderts zur Wippe des 21. Jahrhunderts ist nicht geradlinig. Doch es gibt einen Pfad zwischen beiden und ein gemeinsames Motiv: Das ist die positive Darstellung nationaler Identität; es ist der Ausdruck einer wie auch immer empfundenen deutschen Identität. Damals wie heute ist ein solches Bekenntnis neu gewesen. Nur erscheint es in der Gegenwart noch etwas unsicher, für manche irritierend, für andere verstörend zu sein. Die Wippe ist mehr als nur ein originelles Monument. Sie steht nämlich für einen Bruch in der deutschen Erinnerungskultur. Mit dem Gedenken an den Mauerfall 1989 und der politisch vollzogenen Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr darauf wird erstmals eine positive Nationalgeschichte erzählt; sie fungiert als Identifikationsangebot.

Das ist neu, wenn auch nicht überraschend. Es gibt viele, sehr unterschiedliche Quellen, aus denen sich diese Haltung speist. Dazu gehört der Historikerstreit Mitte der 1980er Jahre, bei dem unter anderem darüber debattiert wurde, wie prägend die Shoa für die Bundesrepublik ist. Dazu gehört aber auch der 1991 beschlossene Umzug der deutschen Hauptstadt von Bonn nach Berlin. Mit ihm ist eine vor allem architektonische Re-Inszenierung des Nationalen in Gang gekommen: Das Parlament zog wieder in den Reichstag, die Museumsinsel wird grundsaniert, das Berliner Stadtschloss mit dezenter Modernisierung unter dem Namen "Humboldt Forum" rekonstruiert und der Wiederaufbau von Schinkels Bauakademie ins Auge gefasst. Zur geschichtspolitischen Neuorientierung zählt letztlich auch das Bonner "Haus der Geschichte".

Musealisierungsprozess zur deutschen Geschichte

Die Orientierung oder auch Suche nach einem positiven deutschen Narrativ zeigt schon die Standortwahl der Wippe: Nicht der Augustusplatz zu Leipzig wurde dazu auserkoren - also die authentische Stätte der deutschen Revolution -, sondern Berlin. Und dort wird die Wippe auf dem Sockel des früheren Denkmals für Wilhelm I. ruhen, des ersten deutschen Kaisers.

Das Einheitsdenkmal ist nur am Rande ein weiteres Kapitel im dynamischen Musealisierungsprozess zur deutschen Geschichte. Es markiert vielmehr eine neue Perspektive auf die Vergangenheit der Nation. Dabei steht nicht mehr die deformierte Geschichte im Zentrum der Erinnerungskultur. Mit der Sehnsucht nach Normalität wird mehr und mehr Abstand zur sogenannten Holocaust-Identität genommen. Wenn der AfD-Landeschef in Thüringen, Björn Höcke, das Holocaust-Mahnmal als ein "Denkmal der Schande" diffamiert und es als Ausdruck einer "dämlichen Bewältigungspolitik" wertet, dann sorgt dies weiterhin für Empörung. Doch Höcke steht mit dieser Meinung weder alleine da, noch ist er in dieser Schärfe der Erste gewesen. Martin Walser hat in der Paulskirche zu Frankfurt bereits 1998 von seinem Abwehrreflex gegenüber dieser "Dauerpräsentation unserer Schande" gesprochen. Sein Motiv ist nicht politischer Natur gewesen, sondern Teil der auch provozierenden Überlegung, welchen Erinnerungsweg Deutschland mit immer größer werdendem Abstand zum Holocaust beschreiten kann. Es gab dankbare Zuhörer dieser Rede wie den Philosophen Peter Sloterdijk, der in der Paulskirchenrede eine Annäherung des Landes an die "psychopolitische Normalität" erblickte und daran erinnerte, dass "eine deutsche Herkunft kein Grund mehr für Vertrauensentzug sein muss" und "ein deutscher Name wieder ein Integritätssymbol höchsten Niveaus darstellen" kann. Sein bestes Beispiel: die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst 2005.

Fast 20 Jahre hat es von der Idee bis zum Beschluss des Einheitsdenkmals gedauert. Typisch deutsch? Vielleicht. Doch ist es diesmal eine gute Langatmigkeit. Sie hat Zeit und Raum zur Reflexion gegeben. Dass eine Erinnerungskultur bis auf alle Ewigkeit festgeschrieben bleibt, ist trotz des unvergleichlichen Holocausts unwahrscheinlich. Vor einer Erinnerungskultur aber, die in intensiven Debatten Gestalt annehmen kann, muss einem nicht bange sein. Diese Erinnerung konfrontiert uns mit dem, was war - und wird nicht instrumentalisiert für das, was sein soll. Am Niederwalddenkmal konnten die Flüchtlinge nicht lesen, was in den Stein des Sockels gehauen wurde und als Staatsräson der Nation galt: Verse voller Kampfeslust und Heldenblut. Ein Menetekel, dem zwei verheerende Weltkriege folgten.

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