Brasilia Neue Hassfigur für Lateinamerikas Linke

Brasilia · Michel Temer hat es geschafft, Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff zu stürzen. Aber er scheint isoliert.

Brasilien hat einen dramatischen Machtwechsel erlebt. Doch die spektakuläre Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff löst erst einmal keines seiner Probleme. Denn das Land, dass sie ihrem Nachfolger Michel Temer unfreiwillig übergeben musste, befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Die Wirtschaft steckt nach 14 Jahren linker Arbeiterpartei in einer tiefen Krise. Nach den vielen Korruptionsskandalen und dem umstrittenen Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff ist auch das Vertrauen in die demokratischen Institutionen am Nullpunkt angelangt. Die Generation Lula da Silva (2003 bis 20011), Rousseff (2011 bis 2016) und Temer (seit Mai 2016, zuvor Vizepräsident unter Rousseff) hat durch ihren hässlichen Machtkampf und eine desaströse Politik das riesige südamerikanische Land an den Rand einer Staatskrise geführt. Schuld daran sind alle politischen Lager.

Ausgerechnet Michel Temer (75) von der eher farblosen bürgerlichen Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens (PMDB) soll den südamerikanischen Giganten nun aus der Krise führen. Das wird ein schwieriges Unterfangen, denn Temer lastet der Ruf des "Putschisten" an, der durch seinen Rückzug aus der Koalition mit Rousseff den Königinnen-Mord erst möglich machte. Auch im benachbarten Ausland schlägt Temer Misstrauen entgegen. Rousseffs ideologische Mitstreiter in den Präsidentenpalästen in La Paz, Caracas und Quito sprechen Temer schlicht die Legitimität ab. Ausgerechnet Venezuela, dessen Präsident Nicolas Maduro selbst gerade sein eigenes Volk mit Hilfe von Sonderdekreten regiert und die Opposition wegsperrt, spielt sich als Verteidiger der Menschenrechte auf. Er brach nach Rousseffs Sturz alle Verbindungen nach Brasilia ab.

Temer ist dabei, zu einer neuen Hassfigur der lateinamerikanischen Linken zu avancieren. Diese Position ist nach dem Ende der Präsidentschaft von George W. Bush vakant. Das birgt für Temer einige Gefahren: Er muss bei wichtigen Reformen in der Wirtschaftspolitik mit der Gegenwehr der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen rechnen, die sich zuletzt schwertaten, angesichts der Korruptionsaffäre in der linken Arbeiterpartei für Rousseff auf die Straße zu gehen.

Doch die schmerzhaften Einschnitte, die nötig sein werden, um Brasiliens Wirtschaft wieder in Fahrt zu bekommen, bieten ihnen die Möglichkeit, sich neu zu profilieren. Schon Temers Entscheidung, in sein Übergangskabinett ausschließlich weiße Männer zu berufen, zeugt von mangelndem Einfühlungsvermögen, was dazu beigetragen hat, dass seine Popularität in Umfragen bisher kaum messbar ist.

Temer braucht allerdings schnelle politische Erfolge, die seine Amtsübernahme legitimieren, sonst könnte ihn die Wut der Straße einzuholen, die Rousseff letztlich aus dem Amt spülte. Dass Temers blutjunge Frau den Namen ihres Mannes im Nacken eintätowiert trägt, hat ihm bei Brasiliens Frauenbewegung schon einen schlechten Ruf eingebrockt. Dagegen hat Temer noch nicht verraten, wie er Brasilien aus dem Tief führen will.

(RP)
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