Borussia Mönchengladbach 1975 — Weisweiler geht nach größtem Triumph

Mönchengladbach · In ihrem erfolgreichsten Jahr wird Borussia Meister und Uefa-Cup-Sieger. Doch der Meistertrainer sagt Adieu.

Zuschauer bilden Spalier für Borussias Champions-League-Helden
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Das Transparent, das Borussias Fans gemalt hatten, zeugte von der Freude über den größten Triumph der Vereinsgeschichte. Doch ist auch die Melancholie des Abschieds dabei: "Bravo Borussia", steht auf dem Stoffstück geschrieben, das beim 6:2 gegen den Wuppertaler SV am 31. Spieltag in der Nordkurve des Bökelbergstadions zu sehen war. Und: "Danke Hennes." Der Meistertrainer, der seit 1964 die sportlichen Geschicke Borussias lenkte, hatte sich im Moment seines größten Erfolgs entschlossen, Adieu zu sagen. Gerade hatte Borussia mit dem 5:1 im zweiten Finalspiel bei Twente Enschede den Uefa-Pokal gewonnen, als erster deutsche Klub, da wurde bekannt: Hennes Weisweiler, der Architekt der Fohlen-Elf, geht zum FC Barcelona.

Es war, als sei ein Tsunami über die Gemüter der Gladbacher Chefetage gerast an diesem 22. Mai 1975, dem Tag nach dem bis heute größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Seit Weisweiler seinen Job in Mönchengladbach angetreten hatte, hatte sich der Kontrakt des Trainers stets per Handschlag verlängert, es war ein ständiges Gentlemen-Agreement zwischen Klub und Fußball-Lehrer. Und nun hatte Weisweiler mit dem spanischen Spitzenklub verhandelt und sich geeinigt, ausgerechnet, als sein Team "die stärkste Borussia, die es je gab" war, ja "stärker noch als der brillante Doppelmeister 70/71". Das schrieb W. A. Hurtmanns in der Rheinischen Post, nachdem die Borussen am 32. Spieltag durch ein 3:1 bei Schalke 04 vorzeitig zum dritten Mal deutscher Champion geworden waren. Weisweiler war auf dem Höhepunkt seines Schaffens, sein Team verband Spielkunst und Nüchternheit, es war das Flaggschiff des deutschen Fußballs.

Die Größe eines erfolgreichen Menschen ist, zum richtigen Zeitpunkt zu gehen. Weisweiler wusste, dass dieser gekommen war, dass er sein Lebenswerk, Borussia, an der "mein Herz ewig hängt", vollendet hatte. Weisweiler hatte Borussia geformt, er hatte den Klub aus der niederrheinischen Provinz zu einem gemacht, dessen Name einen gigantischen Klang hatte in der Fußballwelt, er hatte junge Fußballer zu Weltstars gemacht, er war dreimal Meister geworden, einmal Pokalsieger und hatte nun den Uefa-Pokal gewonnen. "Die Mannschaft, der Vorstand und ich haben alles erreicht, was wir uns zum 75. Vereinsjubiläum zum Ziel gesetzt haben. Der Tag des Absprungs könnte also kaum gelegener für mich kommen", sagte er. Für ihn sei es eine einmalige Chance, sagte Weisweiler. "Ich kann in einer Saison in Barcelona mehr verdienen als bei Borussia in zehn Jahren".

Er hatte geschmollt, als Netzer ging, und ihn beim Pokalfinale draußen gelassen; nun schmollte der Vorstand und ließ Weisweiler außen vor. Es gibt eine Mannschaftssitzung im Klubheim an der Bökelstraße, in der Geschäftsführer Helmut Grashoff den Spielern mitteilt, was sie aus den Gazetten längst wissen. Es entsteht das Foto, das Geschichte geworden ist: Weisweiler wandert gedankenverloren ganz oben auf der Gegengerade herum und unten springt Berti Vogts über den Sicherheitszaun, um den Trainer zu überreden, mit auf dem Mannschaftsbild zu sein, auf dem die Borussen den Uefa-Pokal präsentieren.

Das Ende einer Ära

Im Sommer 1975, nach Borussias bester und erfolgreichster Saison aller Zeiten ging eine Ära zu Ende, die Ära Weisweiler. Wie gut Borussia war, belegt die Statistik: Vom 17. bis 34. Spieltag war sie Tabellenführer, es gab 21 Siege, neun davon in der Fremde, und nur fünf Niederlagen. Jupp Heynckes wurde mit 27 Treffern Torschützenkönig, er, Allan Simonsen (18) und Henning Jensen (13) schossen 58 der 86 Gladbacher Tore. Auf dem Weg zum Uefa-Pokal-Sieg erzielten die Borussen 32 Tore.

Weisweilers letztes Jahr in Gladbach war ein vollendetes Gesamtkunstwerk. Dass Lucien Favre von den Fans schon "Hennes" gerufen wurde, war ein Ritterschlag für den Schweizer, denn Weisweiler steht für alles, was Borussia einst groß gemacht hat. Sportdirektor Max Eberl und Favre haben Weisweilers Geist in die Gegenwart übersetzt. Favre ist in dieser Spielzeit zum drittbesten Borussen-Trainer aller Zeiten geworden - und hat mit seinem Team 40 Jahre nach 1975 wieder Geschichte geschrieben. Er hat Borussia nicht zum Meister gemacht, aber er hat sie zum ersten Mal in die europäische Meisterliga geführt. Rein finanziell, das ist die Realität des modernen Fußballs, ist das viel mehr wert als der sportliche Doppeltriumph von damals. Damals jubelte erstmals ganz Mönchengladbach, denn es war das Jahr der Gebietsreform. Rheydt war zum ersten Mal offiziell Teil der Meisterstadt.

(RP)
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