Olympia-Kolumne Imbiss vor der Haustür

London · Jeden Tag zog der lange Treck an Jennys Haus in der Armoury Road vorbei. Tausende liefen nachmittags, wenn die Reitwettbewerbe im Greenwich Park zu Ende waren, über ihre Straße zur Station der Dockland Light Railway.

Mit der Hochbahn fuhren die Besucher zurück ins Londoner Stadtzentrum oder weiter zum Olympiapark nach Stratford. Jeden Tag hatte Jenny Olympia vor ihrer Haustür. Ihre Kinder Julian und Zoe wollten auch teilhaben an den Spielen. Tickets hatten sie nicht bekommen.

Und die Wettbewerbe nur am Fernsehen zu verfolgen, reichte ihnen nicht. Also entschlossen sie sich, einen Tisch vor die Tür zu stellen, Wasser mit ein paar Spritzern Saft und selbstgebackene Plätzchen mit Schokostückchen anzubieten. Eine Nationalflagge legten sie akkurat als Tischdecke aus. Lautstark riefen die beiden Kinder (neun und elf) den Olympiagästen zu, dass es bei ihnen Erfrischungen gratis gebe.

Die Leute wirkten an den ersten Tagen etwas irritiert. Gratis gibt es in London – gerade in olympischen Zeiten – selten etwas zu essen oder zu trinken. Sie sind es gewohnt, in den Sportstätten 2,30 Pfund, also rund drei Euro für eine Halbliter-Flasche Cola zu bezahlen. Doch mit der Zeit setzte in der Armoury Road ein Nachahmungseffekt ein. Die Olympia-Touristen merkten, dass sie Jenny und ihren Kindern eine Freude machten, wenn sie anhielten, einen Schluck aus frisch gespülten Plastikbechern tranken, die Cookies probierten und ein paar freundliche Worte wechselten.

An den meisten Plätzen Londons geht das Leben trotz Olympia seinen gewohnten Gang. In der City hetzen die Banker umher. Berufspendler verbringen viel Zeit in der U-Bahn. Anders als Barcelona 1992 oder Sydney 2000, als sich die Städte komplett den Spielen hingaben, verschluckt London die Spiele fast. Klagen gibt es allein aus dem Westen der Metropole. Dort machen Bars und Restaurants in diesen Wochen keine guten Geschäfte, weil sich für die Touristen der Schwerpunkt der Stadt nach Osten verlagert, zum Bezirk rund um den Olympiapark. Oder zu Jenny in die Armoury Road nach Greenwich. Die freut sich schon auf die nächsten Gäste: Ende des Monats fangen die Paralympics an.

(RP/seeg)
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